Premiere in Dessau Premiere in Dessau: Starke Frau scheitert an der Männerwelt
Dessau/MZ. - Diese Erfahrung hat Johannes Felsensteinauch in Leos Janáceks "Katja Kabanova", uraufgeführt1921, einfließen lassen: Katja, die tragischeProtagonistin dieser Oper, lässt er im AnhaltischenTheater einfach von der Bildfläche verschwinden,statt sie ungelenk in eine imaginäre Wolgazu stürzen. Davor freilich erspart er dergroßartigen Daniela Zanger nur wenig: Im triefendenNachthemd, die Haare wirr ins Gesicht geworfen,muss sie auf einen Vorsprung fliehen, dergefährlich in den Orchestergraben hineinragt.Felsenstein schickt sie durch Spaliere lüsternerBürger, lässt sie gegen die rotierende Drehbühneanlaufen und hetzt sie auf hohe Rampen, wosie im schmalen Lichtkegel den Nachthimmelansingt: einsam, schön und stark.
Denn aus freien Stücken hat Katja KabanovaEhebruch begangen, und ebenso frei wählt sieals Konsequenz den Tod. Gleichwohl erfülltsie damit das Schicksal, das ihr vorbestimmtist. Diese Paradoxie ist der Motor für Janáceksgeradlinige Dramaturgie. Golo Berg und dieAnhaltische Philharmonie senden der ProtagonistinTrost aus dem Graben - zwar nicht immer präziseund sauber, aber mit untrüglichem Gespür fürdie Höhepunkte der hochkomplexen Partitur.Doch Janáceks Orchester-Satz kann auch grausamsein - wenn er nicht mehr Katjas geschundeneSeele einfühlsam in Akkorde und Melodien bettet,sondern sich plötzlich in die mitleidloseAußenperspektive begibt. Wenn fremdartigeTrompeteneinwürfe wie Messer in den Wohlklangstechen und eigentümliche Melodien von archaischenRitualen künden.
Die anderen Personen spielen, wie so oft beiJanácek, keine große Rolle neben der weiblichenProtagonistin. Der hölzerne Gatte Tichon (IvanMoutaftchiev) und der unbedarfte GeliebteBoris (Jörg Brückner) müssen neben ihr verblassen.Sie haben Katjas großen Gefühlen nicht vielmehr als eindümmliches Grinsen entgegen zusetzen. Und auch die präsenteren Frauenfiguren,die Freundin Barbara (Jana Frey) und die böseSchwiegermutter Kabanicha (Ilona Streitberger),sind letztlich nur Richtungsweiser auf KatjasSchicksalsweg. Johannes Felsenstein suchtin diesem Psychodrama die Extreme - mit positivenwie negativen Folgen: Er spielt mit dem Raumund verteilt sein Personal so weit über FridolinM. Kraskas Bühne, dass ihm ein Bild menschlicherEinsamkeit von grandioser Sogwirkung gelingt.
Freilich ist dabei der deutsch gesungeneText nur noch schwer zu verstehen. Oder erpfercht das bürgerlich gekleidete Personal(Kostüme: Cordula Stummeyer) in eine putzigeHolzhütte, deren Rückansicht sich als eindrucksvolleRampe entpuppt. Einem wunderbar realen Regengussaus der Sprinkleranlage steht ein seltsamerSchluss gegenüber, an dem der Regisseur keineRuhe findet: Er jagt das Personal noch einmalhektisch über die Drehbühne. Es gibt alsoUngereimtheiten an diesem Abend, gewiss, dochschwerer wiegen die vielen Momente von großerDichte - und eine große Ensembleleistung.