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Premiere in Berlin Premiere in Berlin: Dritte Generation verordnet allen eine Gruppentherapie

Von ANDREAS MONTAG 22.03.2009, 16:37

BERLIN/MZ. - Wer im vergangenen Sommer beim halleschen Festival "Theater der Welt" die erste Fassung dieser theatralischen Revue gesehen hat, kann sich keine Sorgen um die Premiere in Berlin gemacht haben: Das Stück "Dritte Generation", geschrieben von der israelischen Regisseurin Yael Ronen gemeinsam mit ihrer Truppe aus jüdischen, palästinensischen und deutschen Schauspielern, ist zwar noch schärfer geworden und alles andere als politisch korrekt, aber es relativiert die Geschichte nicht. Schon gar nicht den Holocaust, wie jetzt im Vorfeld der Aufführung an der Berliner Schaubühne ein Mitglied der Berliner Jüdischen Gemeinde befürchtet hatte.

Vielmehr geht es hier um den Versuch der Nachgeborenen, sich ihrer Geschichte - und des Schmerzes, den sie fortgesetzt gebiert, selbst zu versichern. Auch um den Preis, dass die Versuchsanordnung zur Gruppentherapie das Unvereinbare nur noch deutlicher hervortreten lässt. Hier geht es nicht um ein pädagogisches Spiel, dessen Teilnehmer am Ende als die Guten wahrgenommen werden wollen, die über der Zeit stehen und alle Wunden heilen könnten.

Das wird schon im satirischen Entree deutlich. Niels Bormann, der auch im weiteren Verlauf des Stückes den skrupulösen deutschen Jung-Intellektuellen gibt, entschuldigt sich für das fehlende Bühnenbild - mit einem verschwörerischen Hinweis auf Tel Aviv, wo das koproduzierende Habima National Theatre of Israel beheimatet ist und die Bedingungen eben andere wären. Wie kann man latente Vorurteile besser bloßstellen und dem Publikum klarmachen, dass es hier selbst mitarbeiten muss? Bormann fragt, ob Juden im Saal sind und entschuldigt sich bei ihnen mit pastoralen Betroffenheitshülsen. Er führt das Publikum aufs Glatteis - wie überhaupt der ganze, knapp zweistündige Abend eine einzige, großartige Provokation ist. Aktuelle Debatten, vor allem aber das Unausgesprochene reflektierend, haben sich die Mitglieder des Ensembles ihre Positionen selbst erarbeitet, die sie auch in der Kontroverse mit den Angehörigen ihrer, der dritten Generation nach dem Holocaust, diskutieren.

Zentrale Frage (und deutlicher herausgestellt als im vergangenen Sommer) ist die nach der Vergleichbarkeit - oder besser: Unvergleichbarkeit historischer und gegenwärtiger Ereignisse. "Wie könnt ihr Juden, nach allem was geschehen ist, das gleiche mit den Palästinensern machen?", ist eine solche Frage, die auf der Bühne gestellt - und beantwortet wird: "Das ist doch überhaupt nicht zu vergleichen". Aber die Grausamkeit des Krieges in Gaza ist natürlich ein Thema der Produktion - ebenso wie die Naivität junger israelischer Soldaten und die prinzipielle Erregtheit deutscher Zivilisationskritiker, denen zur Massentierhaltung in Legebatterien das Wort "Hühner-Holocaust" einfällt...

Das Spiel wechselt zwischen Sarkasmus und bitterem Ernst. Wo waren sie denn damals, die deutschen Wagner-Freunde? Wie kann es sein, dass sie nichts mitbekommen haben vom Morden, die Rauchschwaden nicht gerochen? Und heute? Die Deutschen haben "die Wahl, hinter die Fassade ihrer perfekten Demokratie zu schauen."

Nächste Vorstellungen Montag, Dienstag und Mittwoch, Berlin, Schaubühne am Lehniner Platz, jeweils 21 Uhr