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«Platée» «Platée»: In Stuttgart mögen's manche noch heißer

Von Joachim Lange 10.07.2012, 19:29

Stuttgart/MZ. - Am Ende jubelte das Stuttgarter Opernpublikum, als wäre es auf dem Musicaltripp. Den (einstigen) Bühnenbrutalo Calixto Bieito hat man aber auch noch nie so witzig erlebt, wie jetzt mit Jean-Philippe Rameaus "Platée".

Dass Barock rockt, ist längst Allgemeingut, dass er bei Bieito auch poppt, war zu erwarten. Mit einem echten Busenalptraum als Bacchus, falschem Riesenpimmel für den balzenden Jupiter, Kondomen zum Aufblasen und Rumknutschen vor allem von Mercure (Cyril Auvity) und Cithéron (André Morsch). Alles in Anna Eiermanns frivolem Kostümmix aus dekadentem Barock und nicht weniger dekadentem 70er Jahre Nachtklub-Look, auf der grandiosen schwarzen Hochglanzbühne mit Rückwand-Spiegel von Susanne Gschwender. Kongenial ist die intelligente Opulenz, wenn der weiß verzärtelte Gott Jupiter (Andreas Wolf) mit einem ganzen olympischen Lampenladen einschwebt, und so tut, als wäre er auf Platée scharf. Was er nicht ist. Er will ja nur seiner eifersüchtigen Juno (Sophie Marielly) eins auswischen.

Meist verbreitet ein Glühbirnenfirmament seinen poetischen Charme über der Szene so üppig wie Bieito ein Füllhorn von hinreißenden Detail-Einfällen ausschüttet und Lydia Steiers Chorographie das gesamte Personal mit handfestem Spielwitz von der Versailler Hofbühne in die Gegenwart holt. Vor allem dieses Drum und Dran zündet, weil es die "Anything goes"- Mentalität von heute mit der Frivolität des französischen Adels kurzschließt für dessen (Hochzeits-)Unterhaltung Rameau diese Ballett-Oper 1745 komponiert hat.

Dass Thomas Walker als selbstbewusster Transvestit Platée dem Ulk aller anderen Paroli bietet, ist allerdings auch eine offene Flanke der Inszenierung. Wenn Juno kurz vor dem Ja-Wort bei der Pseudohochzeit ihres Mannes aufkreuzt, den Braut-Schleier (hier die Damenhaarperücke) wegzieht und die Hässlichkeit (hier das eigentliche männliche Geschlecht) enthüllt wird, ist Jupiter in diesem Fall vom Verdacht des Fremdgehens freigesprochen und Juno für den Moment von ihrer Eifersucht kuriert. Die Lacher gehen auf Kosten Platées. Eigentlich entlarvt sich aber die Gesellschaft, die ihr Spiel mit dem Transvestiten getrieben hat. Bei Bieito bringt diese Enthüllung aber nicht die mögliche Fallhöhe, sondern höchstens ein Stolpern. Der Verzicht auf den drastischen Wechsel vom Komischen zum Tragischen ist Bieitos Preis, den er für seine große Show zahlt.

Imponierend ist das Staatsopernorchester, bei dem eine Dosis barocker Nachhilfe und ein so inspirierender Dirigent wie der barockversierte Brite Christian Curnyn genügten, um sich auf die Höhen eines konkurrenzfähigen Barocksounds mit französischem Esprit aufzuschwingen. Bei der einzigen hausfremden Inszenierung der ersten Spielzeit unter Jossi Wieler überraschte allenfalls Bieito mit seiner witzig frivolen Eleganz. Ihre musikalische und szenische Qualität fügt sich bruchlos ein und trägt dazu bei, dass Stuttgart wieder zum interessantesten Opernhaus Deutschlands geworden ist.

"Platée" läuft am Freitag um 19 Uhr in der Oper Stuttgart.