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Philosophie Philosophie: Vor 250 Jahren starb Alexander Gottlieb Baumgarten

Von hans-joachim kertscher 25.05.2012, 19:39

Halle (Saale)/MZ. - Zwei Gedanken sind es im Besonderen, die von Alexander Gottlieb Baumgarten hier der erstaunten Leserschaft vorgestellt werden. Zum einen ist es die Forderung nach einer neuen Disziplin, die der traditionellen Philosophie an die Seite gestellt werden müsse: Baumgarten nennt sie Ästhetik. Diese habe sich mit der von den rationalistischen Philosophen bislang vernachlässigten sinnlichen Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu beschäftigen und vor allem zu deren Vervollkommnung beizutragen.

Zum anderen ist es die Poesie, die er in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Disziplin bringt, indem er behauptet: "Das Gedicht ist eine vollkommene sinnliche Rede". Eröffnet werden damit dem poetischen Text völlig neue Entstehungs- und Wirkungsbereiche. Nicht mehr die nach rhetorischen Vorgaben gefertigte Gelehrtenpoesie wird zum Muster erhoben, sondern ein Gedicht, das seine Schönheit dem poetischen Einfallsreichtum, der Phantasie seines Schöpfers verdankt. Diese Schönheit wird der göttlichen Vollkommenheit an die Seite gestellt. Das Bild des Dichters der Moderne, der "gleichsam eine Welt" aus sich hervorzubringen vermag, erhält hier seine ersten Konturen.

Am 17. Juni 1714 wurde der Philosoph als Sohn von Jakob Baumgarten, einem im halleschen Pietismus erzogenen Berliner Prediger, geboren und erfuhr, samt seinen sechs Geschwistern, eine fromme pietistische Erziehung. Der frühe Tod seiner Eltern brachte ihn in die Obhut seiner Großmutter; auch die älteren Brüder mussten sich in seinen Erziehungsprozess einbringen. Vor allem war dies Siegmund Jacob, der später in Halle berühmt gewordene Theologe. 1727 folgt er seinen Brüdern Nathanel und Siegmund Jacob nach Halle, wo er Aufnahme im Hause der Familie Gotthilf August Franckes, dem Sohn des kurz zuvor verstorbenen Waisenhausgründers, findet.

Er besucht die Lateinschule des Waisenhauses zur Vorbereitung eines Studiums der Theologie. Seine schulischen Leistungen empfehlen ihn für den Besuch der "Klasse der Auserlesenen". Siegmund Jacob, zu dieser Zeit Inspektor an dieser Schule, macht ihn auf die für religionsfeindlich erklärte Philosophie des 1723 aus Halle vertriebenen Christian Wolff aufmerksam. Alexander Gottlieb studiert dessen Werke, vermag in ihnen keine Religionsfeindschaft zu entdecken, sondern ist vielmehr fasziniert von der mathematischen Beweiskraft der philosophischen Argumentation. Er sucht und findet einen Mittelweg zwischen Wolffianismus und Pietismus, den er fortan in seiner Lebensführung und seinen Werken gehen wird.

So ausgerüstet beginnt er 1730 mit dem Studium der Theologie, Philosophie und der schönen Wissenschaften an der halleschen Universität und zieht nach der 1734 erfolgten Berufung des Bruders Siegmund Jacob zum Professor für Theologie in dessen Haus in der Großen Märkerstraße, dem späteren Schleiermacherhaus. Die hier verfertigten Betrachtungen berechtigen ihn, an der halleschen Universität Vorlesungen zur Philosophie anzubieten.

Ästhetische Probleme behandelt er in Privatissima, die von den Studenten begeistert aufgenommen werden. Zu ihnen gehören die Vertreter der beiden halleschen Dichterschulen, wie Samuel Gotthold Lange, Immanuel Jacob Pyra, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Nikolaus Götz und Johann Peter Uz. Offenbar verstand sich Baumgarten auch in ganz heutiger Weise als ein engagierter Bewahrer der Natur. In einem Huldigungsgedicht seines Schülers Christoph Joseph Sucro ist zu lesen: "So hat Dein Mund o Baumgart! michs gelehrt, / Daß der sein Wohl nicht baut, der die Natur zerstört".

Noch in Halle beendet er seine Metaphysik, die zu Lebzeiten ihres Verfassers mehrere Auflagen erlebt. Bald hatte man am preußischen Hof seine akademischen Fähigkeiten erkannt. Friedrich Wilhelm I. beordert ihn, sehr zum Bedauern der halleschen Studenten, nach Frankfurt (Oder), um dieser Universität zu neuem Ansehen zu verhelfen. Das tat Baumgarten auch, der bereits in Halle an Tuberkulose erkrankt war, mit höchstem Einsatz seiner schwindenden körperlichen Kräfte. Gleichsam sterbend publiziert er in den fünfziger Jahren zwei Bände seiner fragmentarisch gebliebenen Ästhetik und die auf Wolff fußende Grundlegung der praktischen Philosophie.

In der Nacht vom 26. zum 27. Mai 1762 verstirbt Baumgarten, er hinterlässt eine schwangere Frau und zwei unmündige Kinder. Sein erster Biograf, Schüler und Freund, der hallesche Philosoph Georg Friedrich Meier berichtet: "Hinter seinem Sarge in Franckfurt gieng, die Menge seiner Zuhörer, als eine Familie Verwäyseter einher."

Hans-Joachim Kertscher, 68, lebt als Germanist und Historiker in Halle, wo er Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft ist. Zuletzt veröffentlichte der Aufklärungsforscher gemeinsam mit Michael Mehlow im Universitätsverlag Halle-Wittenberg: Ludwig Heinrich von Jakob "Denkwürdigkeiten aus meinem Leben".