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Phil Collins in Leipzig Phil Collins in Leipzig: Auf einer langen Reise in die kürzeste Sommernacht

Von Andreas Hillger 22.06.2004, 17:33

Leipzig/MZ. - Ausgerechnet die kürzeste Nacht des Jahres hatte sich Phil Collins ausgesucht, um auf seiner "First Final Farewell Tour" die einzige ostdeutsche Station zu erleuchten. Und obwohl er - nach kurzem militärischem Gruß in die Menge und donnerndem Schlagzeug-Intro - mit "Something happened (on the Way to Heaven)" eröffnete, geschah dort oben zunächst nichts.

An Stelle des dunklen Samtes, auf dem die auf Hochglanz polierten Klang-Kristalle des einstigen Genesis-Frontmannes erfahrungsgemäß am Verführerischsten funkeln, gab es blassblaue Seide. Zum Glück aber ist Collins Drummer - und das Leipziger Stadion funktioniert wie eine gigantische Bass-Trommel. Bereits mit "Against all Odds" drosselte er zum ersten Mal das Tempo, um sofort danach mit "Don't lose my Number" wieder massiv zu beschleunigen. Und die mehr als 45 000 Fans reagierten wie ein einziger Resonanz-Körper, der auf jeden Rhythmus perfekt anspricht.

"A lots of Stücke" hatte Collins am Anfang versprochen, eine Menge Songs gab es tatsächlich - von den fast a cappella beschworenen "True Colours" bis zum bittersüßen "Another Day in Paradise", vom rasanten "Hang in long enough" bis zum stillen "Groovy Kind of Love". Dass der inzwischen 53-Jährige diese Ballade sitzend präsentierte, war freilich pure Koketterie - ebenso wie das Video zu "Missed again", das an jüngere Jahre erinnerte.

Seine Kondition nämlich kann der kompakte Künstler kaum als Argument für den weltumspannenden Anlauf zum allmählichen Abschied anführen: Phil Collins stampft und steppt wie ein Tanzbär über die Bühne, er nimmt seinen sechsköpfigen Chor ins Schlepptau und verwandelt sein brillantes Bläser-Quartett in eine Marsch-Formation. Selbst seine eigene Musik-Maschine muss sich dem Bewegungsdrang des Solisten anpassen - und wird beim sinistren Meisterwerk "In the Air tonight" zwischen aufragenden Licht-Fühlern auf die umlaufende Empore gewuchtet. Dieser Mann ist ein Motor - und kann mobilisieren, wie sich spätestens bei "Dance into the Light" zeigt.

Da tanzt man denn auch zwischen allen Stühlen auf den Rängen in die Dämmerung, die sich inzwischen doch noch erbarmt hat. Die Belohnung folgt prompt mit einem fest geschnürten Hit-Paket, das den Akteuren keine Atempause und dem Publikum keinen Applaus gestattet. Dennoch wird dabei endgültig das Korsett gesprengt, in dem Collins seine Chart-Klassiker zuvor mit wenigen Ausnahmen präsentierte: Bei "Wear my Hat" wetteifern Band und Sänger nicht nur um den Preis der albernsten Kopfbedeckung, sondern gönnen sich einen befreiten Ausflug ins Jazz-Varieté.

Davon profitieren der "Easy Lover" ebenso wie "Sussudio" und - in der Zugabe - auch der Stoßseufzer aller Zuhörer, die auf der Heimreise im Stau steckenblieben: "Take me Home". Als man zu diesem Zeitpunkt aus dem Autoradio erfuhr, dass in dieser Mittsommernacht auch in einem anderen Stadion ein wichtiger Sieg für die Briten errungen worden war, konnte dies übrigens nicht mehr wirklich überraschen. Wenn die so gut spielen können ...

Farewell, Phil!