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Phänomen Madonna Phänomen Madonna: Mit den Waffen einer Frau

Von Steffen Könau 15.08.2008, 17:20

Halle/MZ. - Nie zuvor und niemals später war eine Veröffentlichung von Madonna so schnell ausverkauft wie ihr Buch "Sex". Und nie zuvor und niemals später war die Künstlerin so unglücklich über den Erfolg. Denn während Kardinäle den tabulosen Band geißelten, Kritiker sich über "die verzweifelte Schöpfung einer alternden Skandalsüchtigen" empörten und die Fans ratlos durch die Sado-Maso-Bildchen blätterten, lag das beinahe zeitgleich veröffentlichte Album "Erotica" wie Blei in den Läden. Madonna war kein Name mehr für Musik. Madonna war ein Name für Klamauk.

In solchen Momenten ist die heute vor einem halben Jahrhundert in Bay City in US-Bundesstaat Michigan geborene Madonna Louise Ciccone immer am besten gewesen. Wenn sie kämpfen muss, kratzen, beißen und sich durchsetzen gegen eine Umwelt, die ihre Ambitionen verlacht. Schon zu Hause, oben an der kanadischen Grenze, war das so. Hier wuchs Madonna als älteste Tochter von Madonna und Tony Ciccone auf, einem Paar mit frankokanadischen und italienischen Wurzeln. Madonnas Vater arbeitet als Mechaniker, ihre Mutter erkrankt mit 30 an Krebs. Nach ihrem Tod muss Madonna sich um zwei jüngere Schwestern und einen jüngeren Bruder kümmern. Ihre älteren Brüder hingegen dürfen spielen gehen. "Ich fühlte mich wie ein Aschenputtel", erzählte sie später.

Doch wie das Aschenputtel im Märchen schafft sie es, aus ihrer Wut Energie zu gewinnen. Ihr Intelligenzquotient von 140 lässt sie leicht Einsen schreiben. Ihr Ehrgeiz hilft ihr in die Cheerleader-Truppe. Und ihr hübsches Gesicht macht sie für alle Jungen der Schule interessant. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass das schmale Mädchen mit den brünetten Locken ein Star werden wird. "Sie war keine charismatische Person", erinnert sich ihr Mitschüler Wyn Cooper, der "regelrecht erschüttert" ist, als er Madonnas Gesicht im Plattenladen entdeckt. "Das schien so eine gewaltige Verwandlung zu sein."

Verwandlung könnte Madonnas vierter Vorname sein. Sobald sie Erfolg hat, interessiert er sie schon nicht mehr: Aus der Cheerleaderin wird so die kurzgeschorene Existenzialistin, die hart für eine Ballettkarriere trainiert. Kaum aber hat sie ein Tanzstipendium bekommen, geht ihr Blick schon nach New York, wo Punk und Disco jeden einladen, ein Star zu werden.

Der Legende nach hat Madonna genau 30 Dollar in der Tasche, als sie 1978 am Times Square aus dem Taxi steigt. Ein Vorstadtmädchen mit großer Klappe und noch größeren Zielen, bereit, dem Erfolg alles unterzuordnen. Madonna schafft den Sprung in die Tanztruppe ihres Idols Pearl Lang, hat aber längst "dieses Popzeugs im Kopf" wie ihre Mentorin schnell bemerkt. Durchgangsstationen, Häutungen auf dem Weg nach oben. Madonna benutzt nicht nur alle, die ihr nahekommen. Nein, sie sucht auch die Nähe aller, die ihr nützlich zu sein scheinen. Sie arbeitet als Akt-Modell, flirtet mit Männern wie dem Disco-Star Patrick Hernandez, um in die Szene zu rutschen und setzt die Waffen einer Frau ein, wo immer es nötig ist. Ihre erste Managerin, der sie ewige Treue geschworen hatte, feuert sie, als ein besseres Angebot kommt.

Nach vier Jahren ist die Kleinstadtgöre, die dem Pop-Paradiesvogel Boy George die provokante Kostümierung mit Netzstrümpfen, knappen Tops und Kruzifixen abgeschaut hat, ganz oben in der Hitparade. Ihr Lied "Like A Virgin" elektrisiert eine ganze Generation vor allem weiblicher Fans. Madonna wird zum prägenden Modeidol - eine Rolle, die ihr die nächsten zwei Jahrzehnte erhalten bleiben wird.

Nicht von ungefähr. Die Teilzeit-Modemacherin, Filmregisseurin und Kinderbuchautorin versteht es, auf der Bugwelle des Zeitgeistes zu surfen. Dem Geschmack der Masse ist sie so immer eine Zehntelsekunde voraus. Spielt sie anfangs die heilige Hure, wechselt sie später mal zur klassischen Sündigkeit einer Marilyn Monroe, mal zur Grandezza der argentinischen Nationalheiligen Evita Peron. Die vielen Gesichter der Madonna Ciconne sind ihr wahres Gesicht: Eine Katholikin, die für die jüdische Kabbala-Lehre schwärmt, eine Mutter, der die eigenen Kinder nicht reichen, eine Pop-Queen, die Konkurrentinnen wie Britney Spears schlägt, indem sie sie auf offener Bühne küsst oder in einem Video frech mehr Hintern zeigt als die 20 Jahre jüngeren Damen wagen.

Es ist Traum und Alptraum zugleich, Madonna zu sein, denn Madonna ist immer Jägerin und Gejagte. Ihre Platten waren, von "Erotika" abgesehen, immer Hits, ihre Filme hingegen sind fast immer durchgefallen. Als Geschäftsfrau ist Madonna, die seit fast 20 Jahren ihre eigene Firma Maverick betreibt, mit einem goldenen Händchen gesegnet. Ihr Privatleben aber erschüttern regelmäßig große und kleine Skandale, von denen nie klar ist, ob sie bewusst inszeniert oder spontan in die Öffentlichkeitsarbeit der Künstlerin integriert werden.

Wer und was Madonna eigentlich ist, blieb so bis heute das größte Geheimnis der Frau, die Madonna vor genau drei Jahrzehnten erfunden hat und die Figur seitdem mit Leben füllt. Menschen, die sie kennen, nennen sie nett, andere beschreiben sie als glashart und zuweilen schwer erträglich. Sie sei eigentlich wie alle, heißt es lobend, abgesehen davon, dass sie letztes Jahr 55 Millionen verdient habe.

Mit ihrem Album "Hard Candy" und der "Sweet & Sticky"-Tour, die am 28. August in Berlin Station macht, schickt sie sich an, ihrer Sammlung von Rekorden ein paar weitere hinzuzufügen. Madonna, eine halbe Karriere nach dem "Sex"-Debakel kein Name nur für Musik, sondern einer für Macht. Das sei alles, was zählt, hat sie selbst vor 25 Jahren angekündigt: "Ich werde die Welt beherrschen, und ich glaube, es verdient zu haben." Kein Blick zurück, keine Reue über den Preis, den das kostet. Als ihr alter Schulfreund Wyn Cooper sie eines Tages anrief, weil er gesehen hatte, dass ihre Nummer einfach so im Telefonbuch stand, eröffnete Madonna ihm kurzerhand: "Ich habe keine Zeit, mich mit Dir zu unterhalten." Irgendwo wartete wohl noch ein Stück Ruhm, das erobert, ein Stück Madonna-Denkmal, das poliert werden musste. Wyn Cooper hat nie wieder von seiner Schulfreundin gehört.