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Peter Handke Peter Handke: Er sieht die Bäume, nicht den Wald

Von Christian Eger 02.12.2002, 06:58
Peter Handke wird 60 Jahre alt (Foto: dpa)
Peter Handke wird 60 Jahre alt (Foto: dpa) dpa

Halle/MZ. - Peter Handke, der heute 60 wird, ist seinerseitsstets ein großer Beschimpfer gewesen. Mitder für die Bühne verfassten "Publikumsbeschimpfung"(1966) fing seine Karriere an. Schöne, damalsscharfe Sätze waren zu hören: "Ihr vorsintflutlichenSelbstmordkandidaten, Ihr Neunmalklugen, IhrPersönlichkeiten des kulturellen und öffentlichenLebens, Ihr Nazis, Ihr Schweine, Ihr Jammergestalten."

Geboren und aufgewachsen in Kärnten, startetPeter Handke als Anarch, der vor allem dasweiß: Wie die Welt nicht aussehen soll. Erbeschimpft 1966 die Gruppe 47, wirft ihr "Beschreibungsimpotenz"vor, nennt ihre Literatur "öde, geistlos,läppisch" - das alles mit guten Gründen. 1979und nach einigen Bucherfolgen ereignet sichdann mit der Erzählung "Langsame Heimkehr"die metaphysische Kehre: Handke will ein seitder Kindheit "weit abgesunkenes" Denken undFühlen "wie ein Archäolog" wieder zu tagefördern.

Der "episch-lyrische Schriftsteller" beginnt,seine positive Utopie zu formulieren: eineWelt der Selbst- und All-Einheit scheint auf,fernab von Falschheit und Fälschung. Handkefindet diese Welt in der Literatur ("erzählendesGebet") und im ehemaligen Jugoslawien, Sehnsuchtslandseiner Kindheit: Handkes Großvater war Slowene.

Der kulturkritische Grundriss dieser Welthaltungist hausbackene Moderne-Kritik, die immerauch eine Absage an den "Wesen" ist. Handkeist ein Ding-Mystiker, einer, der sich mitgroßen Augen den kleinen Randphänomenen (Federn,Spuren, in Serbien die gern zitierten "andersgelbenNudelnester") des Alltags nähert; Handke isteiner, der den Wald ("das System") vor Bäumennicht sehen will.

Noch im Sommer dieses Jahres interessierteihn als Reporter beim Milosevic-Prozess inDen Haag nicht etwa der Inhalt, sondern dasflirrende Drumherum. Zwischen kulturellen,ästhetischen und politischen Inhalten wirdnicht unterschieden: Das hat Handke mit seinenwildesten Gegnern gemein.

So wie Zynismus oft die Kehrseite eines windelweichenWeltschmerzes ist, ist Brutalität oft dieKehrseite windelweicher Sentimentalität. Esist diese Spannung, die Handke so interessantmacht: Seine Kraft, seine Frechheit, seineAggressivität, die sich hinter dem Bild dessamtpfotigen Waldläufers verbirgt. Und esist auch das allen stereotypen ErwartungenGegenläufige, das im Leser Freiheit freisetzt.Da leistet Handke noch mit seinen schwächstenBüchern mehr als die ost-west-deutschen Literatur-Routiniersmit ihren besten.

Freitag, 23.10 Uhr auf Arte: "Peter Handke -Der schwermütige Spieler", Dokumentarfilm.