Palucca-Schule Palucca-Schule: Das Auftauen der Augenblicke
Dessau/MZ. - Dass das linde Licht freilich nicht nur die Höhen dieser einzigartigen Laufbahn färbt, ist angesichts der kompakten Präsentation keine Selbstverständlichkeit. Doch die Erbender Künstlerin sehen - zweifellos zu Recht - bei aller gebotenen Achtung keinen Anlass zur kritiklosen Glorifizierung. So kommt zumindest der gefährliche Flirt der erfolgreichen Ausdrucks-Tänzerin mit den nationalsozialistischen Machthabern zur Sprache, der trotz "deutschem Gruß" und Teilnahme an der Olympia-Eröffnung 1936 in einer gesellschaftlichen Grauzone endete.Die späteren Arrangements mit der DDR-Obrigkeit bleiben freilich vage - vielleicht, weil sie auch in der Geschichte der Hochschule noch nicht endgültig bewertet worden sind.
Wer aber das persönliche Verhältnis der mehr oder minder berühmten Absolventin zu ihrer Über-Mutter studieren will, wird im Jubiläumsjahr abseits des Koffer-Archivs fündig: "Hommage à Palucca" heißt ein Tournee-Programm, dasszenische Miniaturen einstiger Schülern zum ironisch-lakonischen Reigen vereint. Dabei bietet das Ausdrucks-Spektrum der Nestorin vielfältigen Anlass für Einverständnis und Widerspruch - eine Fortschreibung und Konterkarierung jenes gestischen Kanons, mit dem Palucca seit den 20er Jahren ihr Publikum und die Kritik begeisterte.
Die Zeitlosigkeit, die Schul-Direktor EnnoMarkwart etwa der auch zum Bauhaus-Gastspiel in einer Rekonstruktion von Hanne Wandtke gezeigten "Serenata" bescheinigt, bleibt zunächst allerdings kaum mehr als eine Behauptung. Paluccas raumgreifendes Solo, das entspanntfließende Bewegungen mit kraftvoller Konzentration kombiniert, wirkt heute wie ein patiniertes Prachtstück aus der Affektenkammer des Tanz-Museums.
Grazie und Grandezza sind noch immer erkennbar, der revolutionäre Impuls aber wurde längst vom ästhetischen Konsens aufgesogen. Eineähnlich heilsame Entzauberung war am gleichen Ort bereits mit Oskar Schlemmers Bühnentänzen zu erleben: Was auf historischen Fotografien als Ikone der klassischen Moderne erscheinen mag, gibt sich in akribischer Reanimation leicht als banal oder gar lächerlich zu erkennen.
Wie man die eingefrorenen Augenblicke dennoch zu flüssigem und folgerichtigem Ablauf auftaut, zeigen hernach Anke Glasows "Bagatellen". Hier verbinden sich die expressiven Posen und vitalen Sprünge zum artistischen Pflichtprogrammmit hohem Schwierigkeits-Grad: Eine Übung, mit der sich die Studentinnen über die gemeinsame Basis verständigen und zugleich den Boden für die folgenden Kür-Stücke bereiten.
Dass die Choreografen dieser Etüden jedoch sehr unterschiedlichen intellektuellen Aufwand betreiben, ist unübersehbar. Während sich etwa Irina Pauls sichtlich zurücknimmt, um ihre unverkennbare Handschrift nicht allzudominant wirken zu lassen, beschränken sich Choreografen wie Mario Heinemann oder Holger Bey auf weitgehend akademische Exkurse. Und während Raymond Hilbert mit seiner "Melodie" kaum mehr als eine Körperskizze im Magnetfeld der Dinge entwirft, überrascht Arila Siegert mit einer unverhofft zirzensischen, heiter-resignativenReflexion über die grell ausgeleuchteten Schattenseiten der Branche.
Überhaupt ist es - abgesehen von Mario Schrödersklugem Anti-Manifest "Marcato" - ein Abend der starken Frauen, die sich ihres Körpers und seiner Wirkung voll bewusst sind.
(Artikel für Online gekürzt)