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Otto von Bismarck Otto von Bismarck: Der Eiserne allein zu Haus

Von thomas kröter 30.03.2015, 17:51
Eins von rund 700 in Deutschland: Das Bismarck-Denkmal im Berliner Tiergarten
Eins von rund 700 in Deutschland: Das Bismarck-Denkmal im Berliner Tiergarten dpa Lizenz

halle (Saale) - Im Ausland ist er präsent. Hier aber ist Otto von Bismarck in diesen Tagen so out wie der nach ihm benannte saure Hering. Ist sein Geburtstag am 1. April wirklich erst 200 Jahre her und nicht schon 1 000? Eine halbe Million Glückwunschbriefe soll er zum 80. erhalten haben. Und heute? Ein paar Artikel, 53 Fernsehminuten im Kulturkanal. Viel mehr gibt’s nicht in einem Land, wo an die 700 Denkmäler für den einst umjubelten „Reichsgründer“ vor sich hin bröckeln.

Die großen deutschen Biografien über Bismarck stammen aus den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Lothar Gall (West) rühmte ihn als „weißen Revolutionär“. Ernst Engelberg (Ost) reklamierte das Erbe des „preußischen Junkers“ auch für den Sozialismus. Über Wilhelm II., den Kaiser, der ihm den Laufpass gab, streiten die Historiker bis heute.

Otto von Bismarck ruht in Frieden. Der „eiserne Kanzler“ - ein Fall für die Denkmalspflege. Jedenfalls in Deutschland. Dabei lohnt in Zeiten, da es gilt, die außenpolitische Konfrontation im Zaum zu halten, durchaus die Auseinandersetzung. Mit seinen Leistungen. Vor allem aber mit seinen Grenzen.

Im Ausland werden die Bilder des Mannes mit dem markanten Schnauzbart immer hervorgekramt, wenn es darum geht, die militaristischen, nach Vormacht strebenden Deutschen darzustellen. Als Vorläufer der Wehrmachtsoffiziere in Schaftstiefeln.

Dazu passt der berühmteste Satz aus seiner Antrittsrede als preußischer Ministerpräsident: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“ Dass diese Auffassung 1862 unter Europas Monarchen und Politikern weitgehend „common sense“ war, wird bei der Dämonisierung der Worte gern unterschlagen.

Denker mit Pickelhaube

Sicher, Bismarck, der in seiner Jugend vergeblich versucht hatte, sich vor dem Militärdienst zu drücken, trug als Staatsmann stets demonstrativ eine prächtige Uniform. Das passt zum Repräsentanten des preußischen Militarismus. Wer aber genauer hinschaut, kann unter der berühmten Pickelhaube, mit der ihn viele zeitgenössische Darstellungen zeigen, ein eher nachdenkliches Gesicht erkennen. Eisern war er schon, der Mann aus Schönhausen bei Stendal. Aber mit Maß. Doch davon wollten seine Bewunderer kaum etwas wissen. Und seine Gegner erst recht nicht.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Einflusses in Deutschland und Europa waren von ihm andere Töne zu hören als zu Beginn. Österreich war 1871 niedergerungen, Frankreich besiegt, das Deutsche Reich gegründet - da maß Bismarck seiner Schöpfung die Rolle eines „ehrlichen Maklers“ zu, der in der Lage sei, Frieden in Europa zu stiften: „Ich schmeichle mir, dass wir auch zwischen England und Russland unter Umständen ebenso gut Vertrauensperson sein können, als ich sicher bin, dass wir es zwischen Österreich und Russland sind, wenn sie sich nicht selbst einigen können.“

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Könnte Angela Merkels Politik in den aktuellen Krisen nicht ähnlich umrissen werden? Erinnert Bismarcks Rückschau von 1890 (kurz nach seiner Entlassung) nicht an ihr vorsichtiges, experimentelles Herangehen: „Der Staatsmann gleicht einem Wanderer im Walde, der die Richtung seines Marsches kennt, aber nicht den Punkt, an dem er aus dem Forste heraus treten wird.“ Einen Weg nach dem anderen habe er ausprobiert, um Preußen zu vergrößern und Deutschland zu einigen, sagt Bismarck, den gefährlichsten, den kriegerischen habe er erst beschritten als es keine Alternative gegeben habe. In einem Interview nannte er die Politik eine „Wissenschaft des Möglichen“.

Im Dienste Preußens und später des Reiches betrieb der Kanzler „Realpolitik“, ein Begriff, den Ludwig von Rochau damals prägte. Er meint eine Politik, die sich nicht an ethischen Grundsätzen orientiert, sondern eben an ihren Möglichkeiten und (vermeintlichen) Notwendigkeiten. Es gibt keine englische Übersetzung dafür.

Nicht von ungefähr behauptet der Deutsch-Amerikaner Henry Kissinger, ein Realpolitiker par excellence, von sich, er habe „Bismarck studiert und eine große Bewunderung für ihn entwickelt“. Der frühere amerikanische Außenminister sieht in dem Spross einer preußischen Junkerfamilie den „ersten modernen Staatsmann“, weil er versucht habe, „die Außenpolitik auf der Grundlage einer Bewertung des Kräftegleichgewichts zu führen, nicht eingeschränkt durch die Klischees einer vorangegangenen Epoche“. Mit ein paar schnellen Schlägen habe Bismarck das Rätsel gelöst, das die europäische Diplomatie über zwei Generationen behindert habe: „Wie ist Deutschland zu einigen und Mitteleuropa neu zu organisieren?“ In seiner gerade erschienen Studie „Bismarck. Magier der Macht“ würdigt der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg diese Antwort als „die größte diplomatische und politische Leistung eines Staatsmannes in den letzten zwei Jahrhunderten“.

Preußen war militärisch stark, musste es sein, sah es sich doch von Feinden umgeben, obendrein mit einem zerstückelten Territorium geschlagen. Es kam daher darauf an, dies Gebiet zu „saturieren“ und in ein System einzubetten, das es vor der Übermacht seiner Nachbarn ebenso schützte wie diese vor seinen eigenen Ambitionen. Denn die Gründung des Deutschen Reiches änderte sein grundsätzliches Dilemma nicht: Es war stärker als jeder einzelne Kontrahent, aber nicht stark genug, um es mit mehreren oder gar allen aufzunehmen. Deshalb schloss Bismarck immer wieder neue Bündnisse.

Keim der Zerstörung

Sebastian Haffner, der in einem Essay dem Weg „von Bismarck zu Hitler“ nachspürte, sprach von einer „vielfältigen Kunststoffschicht“, die Mitteleuropa weich gegen die äußeren Mächte abfederte“. Aber die Einigung der deutschen Kleinstaaten zu einem Reich ließ diese Flexibilität verschwinden. Plötzlich war da ein „furchteinflößender Betonklotz, aus dem viele Kanonenrohre herausragten“ - eine Verwandlung „begeisternd für die deutschen Nationalisten, aber bedenklich für das übrige Europa“. So wohnte dem Erfolg bereits der Keim der Zerstörung inne.

Im Krieg mit Österreich hatte Bismarck 1866 noch dafür gesorgt, dass der Unterlegene in die Schranken verwiesen, aber nicht gedemütigt wurde. Fünf Jahre später beging er mit der Annexion Elsass-Lothringens genau diesen „Fehler“, wie er schon bald einsah. Eine „Erbfeindschaft“ war geboren. Die Dynamik des Expansionsdranges aber konnten – und wollten – seine Nachfolger nicht stoppen. Aus Bismarcks „kleindeutschem“ Reich wurde „Großdeutschland“, aus dem „Griff nach der Weltmacht“ (Fritz Fischer) im Ersten Weltkrieg wurde ein Vernichtungskrieg, der am Ende die Schöpfung des „Reichsgründers“ zerstörte. (mz)

Otto von Bismarck (1815-1898)
Otto von Bismarck (1815-1898)
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