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Ostrale Ostrale: Kunst im Schlachthof

Von Joachim Lange 09.08.2012, 17:31

Dresden/MZ. - In Kassel macht die Documenta 13 Schlagzeilen. Sie profitiert davon, dass der Besucher, trotz der wortreich verkündeten Konzeptlosigkeit, dennoch entlang eines roten Fadens der Erkenntnis seinen Weg durch diese wohl wichtigste Schau für zeitgenössische Kunst findet. In Hannover macht sich die Made in Germany Zwei mit einem ziemlich ausufernden theoretischen Überbau daran, das zweite Mal, wiederum im Windschatten der Documenta, Kunst zu präsentieren, die in Deutschland entstanden ist. Was im aktuellen Falle vor allem Berlin bedeutet.

Einzigartiger Ort für Nicht-Klassiker

Mit weit weniger Medienaufmerksamkeit bedacht, dafür aber schon zum sechsten Mal in Folge, mit vergleichsweise wenig Mitteln und viel Enthusiasmus der Macher versucht zur gleichen Zeit die Ostrale in der sächsischen Kunstmetropole Dresden für aktuelle Positionen der zeitgenössischen Kunst eine Bresche zu schlagen. Was dort gar nicht so einfach ist. Mit Kunst aus dem Osten hat die Schau freilich nichts zu tun, sie verdankt ihren Namen dem Ausstellungsort. Das Ostragehege mit den weitläufigen historischen Schlachthofbauten hat seinen Namen vom einstigen Dorf Ostra (was so viel wie Insel heißt) und liegt westlich vom barocken Zentrum Dresdens mit seinen Hochburgen der Künste. Doch gegen Wagner und Co. in der Semperoper oder die 500 Jahre alte Sixtinische Madonna im Zwinger haben es die Zeitgenossen in Dresden immer noch schwer, wenn sie nicht gerade Hans-Werner Henze oder Gerhard Richter heißen und selbst schon im Klassikerstatus angekommen sind.

Seit 2007 haben nun Dresdner Kunstfreunde, mit wenig Geld und viel Engagement, einen Raum für Zeitgenössische Kunst geschaffen. Dass Sachsens Kunstministerin Sabine von Schorlemer jetzt die Schirmherrschaft übernommen, vor allem aber die Stadt mit dem Trägerverein einen Zehn-Jahres-Mietvertrag für einen Teil des Geländes mit über 100 Räumen auf 7 000 Quadratmetern abgeschlossen hat, ist auch Anerkennung für das, was bisher auf die Beine gestellt wurde. Doch ein Wermutstropfen bleibt: Der jährliche städtische Zuschuss wird von der Miete (an die Stadt) mehr als aufgezehrt. Doch es gibt Sponsoren, die Sachleistungen beisteuern und so einen großen Teil der nötigen Viertel Million Euro aufbringen. Dazu gehören auch die roten Hirsche aus Holz, die mit dem Wappentier der Ausstellung in der Stadt werben. Als Zentrum der Schau bieten die ausgedehnten Futterställe mit ihrem durchgehenden Dachboden und den Einzelräumen zu ebener Erde, aber auch das Kühlhaus und der sogenannte Eselsstall am Eingang des weiträumigen Geländes gleich neben der Messe den Entfaltungsraum für die Werke von 245 Künstlern aus 33 Nationen. Das von den Ostrale-Direktoren Andrea Hilger und Martin Müller gewählte Thema "homegrown" weist so vage in die Richtung von selbst Angebautem oder Gezogenem, dass es bequem als Dach für die unterschiedlichsten Positionen taugt, unter denen jeder seine eigenen Favoriten finden kann.

Von ganz klassischen Tafelbildern, über witzige Skulpturen und Videoarbeiten bis hin zu aufwendigen und raumgreifenden Installationen ist hier nämlich alles vertreten. Es gibt eine Wand mit kleinen Miniaturporträts von Manfred Mahsberg. Oder den riesigen Angelhaken "The Hook" des Schweizers Kaspar Michael Bucher, bei dem man unwillkürlich sein Mitgefühl mit den Fischen entdeckt. Es gibt die zuckersüßen Figuren des Australiers Joseph Marr, die zum Ablecken einladen oder die Fotomontage "Angeline 01" von Ulrich Heemann, der die Fleischmassen seines Modells auf eigene Weise in Szene setzt. Und es gibt Hubert Heinrichs Bild "Küchenpersonal", das simple Küchengeräte wie eine Komposition aus Kunstobjekten wahrnimmt oder Bert Löschner "Rückrat" aus lauter miteinander verbundenen Plastikstühlen, das tatsächlich an eine überdimensionale Wirbelsäule erinnert.

Witzige und subtile Denkanstöße

Einen ganzen Raum benötigt die eindrucksvolle Installation "Family trees" der Amerikanerin Emilie Brzezinski, die lebensgroße Fotografien von Menschen in halbierte, ausgehöhlte Baumstämme montiert hat. Von der so aufgeworfenen Frage, ob hier die Natur über den Menschen triumphiert oder der Mensch über die Natur, kommt man schnell zu der Antwort, dass weder das eine, noch das andere der rechte Weg sein kann. Solche Art von eher witzig subtilen Denkanstößen gibt es viele.

Direkter sind da schon Uwe Loesch, auf dessen Plakatinszenierung - auf rotem Grund Raubvögel über dem Frakturschriftzug "Die Deutschen sterben nicht aus!" kreisen oder sein berühmter Kollege Klaus Staeck mit einer Auswahl seiner bewährten, bissigen und politisch ambitionierten Plakate.

Es gehört zu den Vorzügen der Ostrale, dass die eigene Geschichte der Räume so stark ist, dass sich die Objekte und Installationen durch ihre autonome Kraft selbst behaupten müssen und die Ausstellungsmacher sich mit Wertungen und Vorgaben bei der Begegnung mit der Kunst wohltuend zurückhalten. Dennoch wäre es schön gewesen, wenn der angekündigte Katalog zu Beginn der Schau fertig gewesen wäre. Wie es sich für eine Kunstschau gehört, die in ihre Stadt hinein wirken will, bieten die Veranstalter mit der Ostrale.xtra ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Performances und Projekten. Man kann nur hoffen, dass sich die Stadt, das Land und die möglichen Sponsoren bewusst sind, was sie an der Ostrale haben. Die eigentlich nicht für die Kunst gedachten Gebäude jedenfalls bieten einen charmanten Rahmen für die zeitgenössische Kunst, die man in dieser Breite in Dresden bislang eigentlich nicht vermutete.

Das Festival Ostrale läuft bis 16. September: Di-Do 11-20 Uhr, Fr und Sa 11-22 Uhr, So 11-20 Uhr. Eintritt: 14 Euro, ermäßigt neun Euro.