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Österreich Österreich: Literaturrebell Peter Handke wird 65 Jahre alt

Von Miriam Bandar 05.12.2007, 07:06
Peter Handke in Velika Hoca im Kosovo. (Foto: dpa)
Peter Handke in Velika Hoca im Kosovo. (Foto: dpa) EPA

Wien/Paris/dpa. - Zurückgezogen lebt er in einer Pariser Vorstadt.Politisch steht er im Abseits, seitdem er öffentlich denjugoslawischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic verteidigte. Dennochist Handke einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren derGegenwart. Am 6. Dezember feiert der einstige «junge Wilde» derLiteratur mit Schwermut in der Feder seinen 65. Geburtstag. «Als Kindwollte ich immer Melancholiker sein», hat er vor einigen Monaten ineinem Interview der «Weltwoche» gesagt. «Ich wollte auf einem Steinsitzen und nie mehr aufstehen.»

Seine triste Kindheit und Jugend verbringt Handke in ärmlichenVerhältnissen in Griffen-Altmark in Kärnten. Die Mutter arbeitet alsStubenmädchen und Abwaschhilfe, der Mann an ihrer Seite trinkt undschlägt. Erst kurz vor seiner Matura (Abitur) erfährt Handke, dassder Gewalttäter nur sein Stiefvater ist. 1961 geht er zum Jurastudiumnach Graz, das er abbricht, als der Suhrkamp Verlag 1965 seinManuskript «Die Hornissen» annimmt. Als sich die Mutter 1971 tötet,verarbeitet ihr Sohn dies in der Erzählung «Wunschloses Unglück»literarisch.

In den 60er und 70er Jahren steigt Handke zum Rebellen derdeutschen Literaturlandschaft auf. 1966 provoziert er in Frankfurtmit seinem Sprechstück «Publikumsbeschimpfung», im selben Jahr erregter die Kulturszene mit seiner Rede vor Mitgliedern der Gruppe 47, alsder Neuling den etablierten Kollegen «Beschreibungsimpotenz»vorwirft. Zu den großen Förderern Handkes gehören unter anderem derinzwischen gestorbene Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und derTheatermacher Claus Peymann.

Anfangs lehnt sich der Österreicher in seinen Werken sprach- undgesellschaftskritisch gegen die herrschenden Systeme auf. Frühe Titelwie «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter», in dem es um denehemaligen Torwart und entlassenen Monteur Josef Bloch geht, der zumGelegenheitsmörder wird, gehören inzwischen zum klassischen Lesestoffeines Oberstufen-Deutschkurses.

In den 1980er Jahren verfällt Handke zunehmend einem poetisch-versöhnlichen Ton, den Kritiker teilweise als «priesterlichen Stil»abtun. In seinem 2007 erschienen Buch «Kali. EineVorwintergeschichte» lässt er eine nur schemenhaft beschriebeneSängerin durch eine märchenhafte und gespenstische Welt gleiten, inder sie ein vermisstes Kind findet. Bald soll seine neue Erzählung«Samara» erscheinen, die in einem Boot irgendwo auf dem Balkanspielt.

Mit seiner pro-serbischen Haltung im Balkan-Konflikt stellte sichHandke - der slowenische Wurzeln hat - in den vergangenen Jahren inspolitische Abseits. Er verurteilte die Nato-Aktionen gegen Serbienals Verbrechen, beschrieb nach einer Reise in die Krisenregion lieberdie «andersgelben Nudelnester» oder den «walddunklen Honig» als dieGräueltaten des Krieges und sprach im März 2006 bei der Beerdigungvon Milosevic. «Er hat sich verrannt», urteilte Günter Grass in einem«Zeit»-Interview. Handke habe schon immer die Neigung gehabt, mit denunsinnigsten Argumenten eine Gegenposition einzunehmen.

Im Sommer 2006 löste die geplante Vergabe des Heine-Preises derStadt Düsseldorf an Handke wegen seiner Haltung Proteste und einenpolitischen Eklat aus. Eine bundesweite Debatte über Zensur folgte.Handke verzichtete daraufhin auf die Ehrung und versicherte, nie mehrAuszeichnungen anzunehmen. Bei dem als Reaktion auf die Debattegestifteten Berliner Heinrich-Heine-Preise greift er dennoch zu undspendet die 50 000 Euro Dotierung einer serbischen Enklave.

Privat lebt der Schriftsteller zurückgezogen in Chaville beiParis. Aus zwei Ehen mit Schauspielerinnen ist er Vater zweierTöchter, vor einigen Jahren scheiterte die Beziehung mit derdeutschen Aktrice Katja Flint. Im vergangenen Sommer gab sich daseinstige Enfant terrible der Literatur trieblos und altersmüde. Überseinen bevorstehenden 65. Geburtstag meinte Handke: «Ja man fühltsich... Wie heißt das? Befristet. Das Alter macht doch zunehmendBedenken. Ich weiß nicht, ob das so heiter wird, wie ich es mirvorgestellt habe.»

Die Österreichische Nationalbibliothek hat jetzt einen großen Teilvon Handkes Vorlass - oder wie Robert Musil es genannt hätteNachlasses zu Lebzeiten - erworben. Dazu zählen handschriftlicheWerkmanuskripte, Notizen und Materialsammlungen. Die großen Romane«Mein Jahr in der Niemandsbucht» und «Der Bildverlust oder durch dieSierra de Gredos» sind in dem Bestand ebenso enthalten wie kürzereProsaarbeiten. Auch die Theaterstücke «Die Fahrt im Einbaum»,«Zurüstungen für die Unsterblichkeit», «Untertagblues» und «Spurender Verirrten» finden sich neben Übersetzungen und essayistischenArbeiten.