Österreich Österreich: Adalbert Stifter steht für Lehre der «sanften Gesetze»
Wien/dpa. - Heute ist Stifter vor allem als Schriftsteller bekannt.Doch er entwickelte, beschrieb und vermittelte seineLebensphilosophie auf vielerlei Weise: Als Dichter, Maler, Gelehrter, Lehrer und Kunstverständiger.
Einem «sanften Gesetz» gehorche jede Ordnung in der Natur und immenschlichen Zusammenleben, fasste er seine Lebensphilosophie in derErzählsammlung «Bunte Steine» von 1853 zusammen. Diesem sanftenGesetz folgend, zeige sich das Stille, Dauerhafte - und dies sei vongrößerer Bedeutung als plötzliche Kraft und Umbruch: Evolution vorRevolution. Politisch hieß das für den humanistisch geprägten undgebildeten Stifter: er begrüßte zunächst die liberalen Ideen und dasFreiheitsideal des Vormärz und der Revolution von 1848, wandte sichaber mit Grauen von den blutigen Auswüchsen ab.
Sein dichterisches Werk zählt unbestritten zur Weltliteratur.Schüler begegnen dem Meister der Erzählkunst und der stillenBetrachtung meist über die Schullektüre in einer Zeit, in der dasInteresse an einer leisen, introvertierten Weltsicht nicht geradegroß ist. Das mag mit dazu beitragen, dass Stifter kaum gelesen wird.Doch seine eindrücklichen Landschaftsschilderungen und einfühlsamenFigurenporträts zählen mit ihrer erzählerischen Genauigkeit undpoetischen Tiefe zu den Höhepunkten der deutschsprachigen Literatur.Seine Bedeutung als Wegbereiter der Moderne wird zunehmend anerkannt.
Stifters Weltbild war ganz maßgeblich geprägt von der Kindheit alsSohn eines Leinewebers in einem kleinen Ort in der Abgeschiedenheitdes Böhmerwaldes mit seiner eigentümlichen Landschaft und den langen,strengen Wintern. Naturereignisse wie heftige Gewitter, vor denen ersich fürchtete, verarbeitete er in frühen Beschreibungen, dieverloren gegangen sind. Der Vater starb, als Adalbert Stifter zwölfJahre alt war.
Der intellektuell und künstlerisch begabte Stifter entwickeltesich im Benediktinerstift Kremsmünster zu einem brillanten Schüler.Der bildungshungrige Junge gelangte zu einer humanistisch geprägtenLebensauffassung, gepaart mit einem strengen Katholizismus. Seinevielseitige Begabung drängte ihn in verschiedene Richtungen, auchspäter beim Studium in Wien. Ein Examen legte er nicht ab. Darüberund nach einem verpassten Vorstellungstermin für eine Lehrerstelle inPrag kam es 1833 zu einem endgültigen Zerwürfnis mit seiner großenLiebe Fanny Greipl.
Der psychisch labile, immer wieder mit Krankheiten kämpfende 28-Jährige erfuhr dies als existenziellen Bruch, der ihn in eine großeKrise stürzte: «Es gibt nur eine einzige Liebe auf Erden und nach derkeine mehr», schrieb er. Dennoch heiratete er wenig später dieOffizierstochter Amalia Mohaupt. Stifter arbeitete als Hauslehrer undVorleser in großbürgerlichen Häusern.
Der Durchbruch als Dichter kam 1840 mit der Veröffentlichung vonfrühen Novellen, auch die Erzählungen «Der Hochwald» (1842) und«Brigitta» (1843) wurden zu großen Erfolgen. Seine Versuche, in derHochschullehre Fuß zu fassen, scheiterten an seiner politischliberalen Haltung. Gleichzeitig sah er sich aus Künstlerkreisen immerwieder dem Vorwurf ausgesetzt, selbst ein kleinbürgerlich-biedermeierliches Idyll zu leben und in seinem Schreiben zuverfolgen. Als Reaktion darauf verfasste er die großen Bildungsromane«Nachsommer» (1853) und «Witiko» (1855).
Sein Leben empfand Stifter, der immer wieder von Depressionenheimgesucht wurde, als permanenten Kampf um die materielle Existenz.Große innere Unruhe und Unsicherheit liessen ihn nirgendwo heimischwerden, nicht im geistigen und nicht im realen Sinn. Dass er sich imLaufe einer schweren Krankheit mit einem Rasiermesser Verletzungenzufügte, an denen er am 28. Januar 1868 starb, erscheint als letztergroßer Widerspruch zu einer katholisch-religiösen Lebenshaltung.