Opernhaus Leipzig Opernhaus Leipzig: Held in Stahlkorsett und Unterhosen
Leipzig/MZ - Da hockt er, der König der Gosse: Sein Thron ist ein durchgesessenes Sofa, sein Purpur das fadenscheinige Futter eines geraubten Mantels, eine leere Weinflasche dient ihm als Zepter und den mächtigen Wanst schwenkt er als Reichsapfel vor sich her. Über Falstaffs Landen aber geht die Sonne niemals auf: In den lichtlosen Fundamenten der guten Gesellschaft regiert er seine beiden letzten düsteren Untertanen, die nur auf die erstbeste Gelegenheit warten, um sich den Aufstieg durch Verrat zu erkaufen.
Giuseppe Verdis letztes Werk "Falstaff" sollte am vergangenen Wochenende auch zum Grande Finale der Ära Zimmermann in der Oper Leipzig werden. Uwe Wand hatte die lyrische Komödie in der Ausstattung von Wolf Münzner inszeniert, der mit seinem Bühnenraum zugleich die konzeptionelle Verabredung des Abends markierte: Der Titelheld war hier im wahrsten Sinne des Wortes ein Außenseiter, der in den inneren Zirkel der Bürgerwelt strebt und dafür immer wieder den Spott und den Hass der Privilegierten riskiert.
Dass die tragische Komponente dieser fortgesetzten Selbstbeschädigung in den Hintergrund trat, schien freilich ebenfalls Programm: Der barocke Sinnenmensch Falstaff machte in Stahlkorsett und Unterhosen eine ebenso komische Figur wie in der Garde-Uniform des Gecken. Eine ernst zu nehmende Gefährdung der sittlichen Grundwerte ging von diesem bis zum Bersten gefüllten Weinfass zu keinem Zeitpunkt aus.
So blieb bei Alberto Rinaldi die berühmte Selbst-Verteidigung "Mein Witz erschafft den Witz der anderen" eine szenisch ebenso unbewiesene Behauptung wie die Absage an die Ehre, sein Falstaff wusste von beiden Werten nur wie der fabelhafte Fuchs von angeblich sauren Trauben. Das erleichterte einerseits die Charakterzeichnung der nur noch angewiderten oder amüsierten Frauen, reduzierte aber zugleich deren Konflikt: Wo keine Sünde lockt, braucht es auch die - bei Verdi erst durch die Erkenntnis des doppelten Spiels endgültig geübte - Entsagung nicht.
Dass Ford in dem Trunkenbold allerdings einen ersthaften Kombattanten erkennen konnte, hätte ihm die Scheidung von seiner Gattin eintragen müssen. Da konnte denn auch Münzners allmähliche Auflösung der Sphären nichts mehr retten, zumal er in das Masken-Spiel am Ende noch einen unbegreiflich echten Feenspuk mischte. Lediglich das manchmal allzu dominante Gewandhausorchester unter Michail Jurowski sowie die fast durchweg hohe Gesangskultur rechtfertigten die Premiere als legitime Aneignung im Verdi-Jahr, wobei mit fortschreitender Dauer auch eine zunehmende Sicherheit in den genialisch-vertrackten Solisten-Ensembles hörbar wurde. Dass sich bei den synchronen Sequenzen Mario Zeffiris Fenton und Snezana Stamenkovics Nannetta in jugendlicher Schönheit gelegentlich über die Eltern-Generation er- hoben, war kein Widerspruch gegen die bemerkenswerten Leistungen von Romelia Lichtenstein (Alice) und Tomas Möwes (Tomas Möwes), die in ihrer Menage aus lebenslustig koketter Ehefrau und steif-korrektem Biedermann emotionale Probleme zumindest andeuteten. Rinaldi aber sang, was er nicht zeigen durfte: In seinem dunklen, reifen Timbre schwang die Trauer und die Verletzung mit, die er äußerlich durch seine Vitalität überspielte.
In seinen Attacken auf das Ganoven-Duo Bardolfo (Martin Petzold) und Pistola (Hidekazu Tsumaya) oder in seinem augenzwinkernden Spiel mit der Dienerin Quickly (Alexandra Durseneva) demonstrierte er Kraft und Geschmeidigkeit, die zu einem anderen als seinem unförmigen Körper zu gehören schienen. Hier ahnte man - wie bei seinen Gegenspielern - eine Potenz, die der Regisseur nicht ausschöpfen konnte oder wollte. Und so blieb es über weite Strecken bei einer Mischung aus Glühwein und Themsewasser, wo eigentlich Galle und Herzblut gefordert waren.