Opernhaus Halle Opernhaus Halle: Rechenkünstler probt Quadratur der Talente
Halle/MZ/ahi. - Wenn Ingomar Grünauers Oper "Cantor" nun dennoch einen Mathematiker in den Blick nimmt, der vor allem als Begründer der Mengenlehre Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat, dann will der Komponist dies als "Künstlerdrama wie ,Palestrina' von Pfitzner" verstanden wissen. Und stellt den Regisseur wie den Dirigenten der morgigen Uraufführung am Opernhaus Halle doch vor Probleme, die exakte Lösungen verlangen.
Allein der Raumklang, für den Roger Epple als vielfach erprobter Interpret der zeitgenössischen Musik verantwortlich zeichnet, ist eine Herausforderung: Zusätzlich zum Orchester im Graben gibt es ein kleineres Instrumental-Ensemble auf der Hinterbühne. In den Seitenlogen des ersten Rangs sitzen je drei Solostreicher, die sich ihren Raum mit drei Gesangsstimmen teilen - und auf dem zweiten Rang singt ein Kammerchor, der nicht mit dem Chor auf der Hinterbühne zu verwechseln ist.
In diesem Korsett bewegt sich die "Polyphonie der Szene", mit der Regisseur H. G. Seebach die vielen Schauplätze aus dem Leben des Georg Cantor (1845-1918) zusammenführt. Insgesamt 30 Momentaufnahmen hat Ingomar Grünauer komponiert, bei Intervallen von 45 Sekunden bis zu sechs Minuten
würden Umbaupausen das Geschehen permanent ausbremsen. Also hat sich der Regisseur, der in Halle bereits "La Bohème" und "Tannhäuser" inszenierte, für einen wandelbaren Raum entschieden, der ihm eine filmische Erzählweise ermöglicht. Dieses Bilderpuzzle mit Zeitsprüngen und Überblendungen soll der Sinnlichkeit des Werks entsprechen, die laut Seebach "eher intellektuell als süffig" ist. Dafür, dass die Oper im übrigen nur hier und jetzt - als Beitrag zur 1 200-Jahrfeier der Stadt Halle - in Idealform zu präsentieren ist, hat Grünauer selbst gesorgt.
Denn den Mathematiker Cantor, der seit 1872 an der halleschen Universität lehrte und forschte, hat er einem einzigen Interpreten auf den Leib geschrieben. Nur Axel Köhler bringt die Quadratur der Talente mit, die in der Partitur die Zerrissenheit des Denkers repräsentieren. Er muss in der "mathematischen Welt" als Counter und in der Erinnerung an seine Kindheit als Bariton singen, er muss sich gegen Feinde sprechend zur Wehr setzen - und als Ventil für psychischen Druck Geige spielen.
Ein großes Experiment ist also zu erleben, das seine erste Bewährungsprobe allerdings bereits hinter sich hat, nachdem der ursprüngliche Premieren-Termin den Etat-Kürzungen im Opernhaus zum Opfer fiel. Auch dies ein Fall von Mengenlehre - oder sollte man "Mengenleere" sagen?
Die Premiere von "Cantor" beginnt morgen um 19.30 Uhr.