Oper Halle Oper Halle: Der Rabe krächzt sein Nimmermehr

HALLE/MZ. - Der große schwarze Vogelkann die Schwingen heben und als schützendenSchild vor die Brust klappen, er kann dieAugen dämonisch durch den Nebel glühen lassen - und er kann krächzen. Wenn Edgar Allan Poeseine depressiven Schübe hat, wenn nur nochAlkohol und Opium gegen die Zumutungen derWelt und für deren Verdichtung in Poesie helfen,dann ist der Rabe nicht weit. Und die Liebhaberder dunklen Dichtung wissen seit 1845, welchesvernichtende Wort das Tier dann dem Menschenkündet: "Nevermore".
Man möchte hoffen, dass die Oper Halle dieses"Nimmermehr" für ihren zukünftigen Umgangmit Musicals nicht verinnerlicht - denn anihrem Einsatz für Eric Woolfsons "Edgar AllanPoe" lag es zuallerletzt, dass sich die Dramatikbei der Uraufführung hinter die Kulissen verlagerteund sich der Urheber am Ende nicht verbeugte.Immerhin sind die Kontrahenten bei der gleichenAgentur unter Vertrag, die als Verlag auchdie Rechte am Werk hält - ein team-internerKonflikt also, den man bereits beim erstenScheitern im Berliner Admiralspalast Anfangdes Jahres hätte feststellen müssen. Der Streitzwischen Ex-Alan-Parsons-Projektleiter EricWoolfson und Regisseur Frank Alva Buechelerfreilich trug durchaus tragische Züge.
Im Werk verlaufen
Denn da war auf der einen Seite ein Autorund Komponist, dem im Laufe einer jahrzehntelangenAuseinandersetzung mit Leben und Werk seinesFavoriten offenbar der Blick für eine eindeutiglesbare Handlung abhanden gekommen ist. Undda war andererseits ein Inszenierender, dersich seinen Weg durch das Stück mit allerleiÜberformungen bahnte, was einer Uraufführungnie gut tut. So konnte sich der Eine in derArbeit des Anderen nicht wiedererkennen -eine Situation, die sich im Stück spiegelt.
Hier ist es der bigotte Rufus Griswold, derzunächst den Ruin des Genies Poe vorantreibtund dann dessen Nachruhm beschädigt - dasMittelmaß gegen den Solitär, dem nach seinemgrausamen Tod dennoch eine Apotheose gegönntwird. Dass diese mühsam angeleimte Himmelfahrtnicht die einzige Zumutung ist, liegt an derseltsam zeit- und ortlosen Reflexion von PoesLeben, der Reminiszenzen auf seine berühmtenGeschichten wie "Der Doppelmord in der RueMorgue" oder "Die Grube und das Pendel" zwischengeschaltetsind.
Ausstatter Christoph Weyers hat seine dekorativenVersatzstücke dafür mit einem seltsamen Geflechtüberzogen, das Wurzelwerk oder Nervenstrangassoziiert. Zudem gibt es dreh- und klappbareWände, deren Front mit Textzeilen überwuchertwird - ein Kopf-Kosmos, in dem sich Poe ehererinnert als ereignet. Zwischen Friedhofskreuzenund Puppen-Käfigen, zwischen anachronistischenVideos und einer trügerischen Pastorale suchtman vergeblich nach einheitlicher Ästhetik -und fühlt sich wie in Poes "Maelstrom", dender Vorhang auch andeutet.
Weil die Manuskript-Kulissen also auch denSängern im Wege stehen, verstärkt sich derEindruck, dass in diesem Papiertheater eherSchablonen als Figuren auftreten. Björn ChristianKuhn ist als Poe allgegenwärtig und kommtder Realität bis an den Rand des Grabens entgegen,seine Selbstzerstörung aber kann er kaum plausibelmachen - auch wenn er sich der Aufgabe mitvoller Kraft und größtmöglicher Eleganz stellt.
In Schönheit sterben
Dass er zunächst als genialischer Amadeusund später wie dessen aktueller WiedergängerPete Doherty erscheint, bietet aber kaum mehrals ein Spiel mit Abziehbildern. Auch GerdVogel bleibt als Griswold flach, was bei diesemDarsteller den Verdacht auf mangelnde Tiefeder Vorlage verstärkt.
Und die Frauen? Evita Komb (Virginia), JoanaMaria Rueffer (Elizabeth) sowie Maryam El-Ghussein(Elmira) singen und sterben in Schönheit,wobei die Stimme der Mutter allzu stark indas Opernfach changiert - also dorthin, woauch der Chor der Oper Halle normalerweisezuhause ist. Dennoch zählt er hier ebensowie das Ballett und die Musiker der Staatskapelleunter der Leitung von Volker M. Plangg zuden Aktivposten. In Szenen wie dem unterschwelligbitteren Hochzeits-Song "Adieu zu alldem"oder im grotesk überzeichneten "Mörder inder Rue Morgue", im lautmalerischen Klanggedichtund in der grausam heiteren Wahlkampf-Szenelegen sie den musikalischen Reichtum frei,den dieses Stück bei allen Schwächen besitzt -und der sich auch in Soli wie "Irgendwo imPublikum" oder "Der Mensch ist ein Narr" offenbart.
Wenn der Chor zudem tanzt und das Ballettzumindest ansatzweise lippensynchron singt,ist dies das Maximum, was man von einer Repertoire-Vorstellungim Stadttheater erwarten darf. Dass sich aberkein Musical-Konzern fand, der ein Theaterum dieses Stück bauen wollte, ist bezeichnend.So kann man der gleichwohl umjubelten Premiereein Zitat als Motto geben, das auch im Stückaufscheint: "This it is, and nothing more!".
Nächste Vorstellungen am 2. Septemberum 19.30, 6. September um 15 Uhr
