Olaf Martens Olaf Martens: Die Venus von Großkugel
Leipzig/MZ. - Und das ist auch gewollt, es ist Teil des raffinierten Spiels, das der in Leipzig lebende Hallenser vom Jahrgang 1963 mit seinem Publikum treibt. Ab heute ist im zeitweiligen Ausweichquartier des Grassimuseums am Leipziger Neumarkt eine umfangreiche Werkschau mit rund 400 Martens-Arbeiten aus 20 Jahren zu sehen.
Schaut man genauer hin, wird man sich selbst ertappen können: Das Anzügliche ist nicht in den Bildern, sondern in den Mustern, die wir als Ansichten (oder auch Phantasien?) von der Welt bei uns tragen. "Kunst findet auf der Straße statt", sagt Martens und dekliniert Träume in heiterer Bosheit. Natürlich ist auch Lust im Spiel. Und weil sich der Künstler selbst bei seiner Arbeit ja nicht ernstlich heraushalten kann, gewinnen seine Bilder entscheidend an Aufrichtigkeit wie Schärfe.
Für Herrenmagazine hat er nie gearbeitet. Die würden seine Bilder auch gar nicht mögen, sagt er. Weil sie zu kompliziert sind. Und perfekte Nackedeis in viel versprechenden Posen abzulichten, wäre ihm zu langweilig. Dabei ist Sexualiät natürlich ein Thema bei Martens. Aber eben keines, das aus dem Zusammenhang des Lebens gelöst würde. Es sei denn (und nur dem Anschein nach), um zu provozieren. Das macht dem hintersinnigen, peniblen Arbeiter ebensoviel Spaß wie das Inszenieren seiner oft bizarr wirkenden Arrangements.
Manchmal, etwa wenn er auf russische Models zu sprechen kommt, galoppiert des Meisters Interpretation dem Befund freilich ein gutes Stück voraus. Wahrheiten wie "Der Osten ist auch Abendland", spricht Martens dann gelassen aus und rühmt den unverbildeten, im Westen so kaum noch anzutreffenden Gestus der postsowjetischen Damen, die lasziv vor barocken Tapeten turnen. Vielleicht sind sie aber auch nur hungriger aufs Geld.
Überwiegend (und faszinierend) bleibt jedoch die präzise soziale Beobachtung in diesem Werk - von scharfen Reportage-Anfängen bis zu den Bilderrätseln der jüngeren Vergangenheit, in denen sich eine morbide Saturiertheit der ostdeutschen Generation Mauerfall ebenso (selbst-)ironisch spiegelt wie das Bekenntnis zur Sinneslust: Hinfort mit der Ästhetik biederer Nackt-Häschen im sozialistischen Strandhafer, die den erotischen Horizont der DDR jahrelang besetzt hatten!
Ohne Zweifel: Martens bekennt sich zur atmenden Schönheit des Fleischs. Nicole, die dralle Venus von Großkugel, steht auf halbem Weg zwischen Halle und Leipzig als Denkmal dafür - und stiftet in ihrer Unschuld auch Verunsicherung: Was hat die antike Weibsperson auf mitteldeutschem Acker zu suchen? Liebe? Womöglich ist sie ja gar nicht Göttin, sondern Friseuse von Beruf? Aber was, bitte, soll der gewaltige, nach Aufschwung Ost rufende Betonklotz dahinter?
Man kann schon auf die Idee kommen, dass es Herr Martens faustdick hinter den Ohren hat. Wer Freude an heiterem Querdenken und perfektem Handwerk hat, wird sich das ansehen müssen. Und wegen der Erotik natürlich auch.
Olaf Martens: "Träume, Welten, Hintergründe", Leipzig, Neumarkt 20, bis 26. Sept., Di-Fr 12-20, Sa / So 10-19 Uhr.