1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. O.F. Weidling: O.F. Weidling: Freches Possenspiel mit dem Politbüro

O.F. Weidling O.F. Weidling: Freches Possenspiel mit dem Politbüro

Von Steffen Könau 20.10.2006, 18:20

Halle/MZ. - Als Enkel einer Rheinländerin 1924 in Thüringen geboren, verschlug es den früh mit großer Redegewandtheit auffallenden Jungen schon mit acht Monaten ins ferne Berlin. Hier, in der Reichshauptstadt, beginnt der junge Mann eine Ausbildung zum Polizeiangestellten, ehe ihn die Wehrmacht einzieht und an die Front schickt, wo ihn die Russen gefangen nehmen und für fünf Jahre nach Sibirien expedieren. Otto Franz, im russischen Kirow in O. F. umgetauft, steht hier zum ersten Mal auf der Bühne. Und er weiß sofort: Das muss es sein. Wieder daheim, gründet er im Dachziegelwerk einen dramatischen Zirkel, in dem er Hauptdarsteller, Regisseur und Dramaturg zugleich ist. Später fährt er im Lkw durch die Lande, um den Mitbürgern Musik, Gesang und Humor zu bringen. Schließlich schafft er den Sprung in den Berliner Friedrichstadtpalast, ins hallesche Steintor und zum Fernsehen.

Der späte Beginn einer großen Karriere, die O. F.s Sohn Carsten Weidling jetzt in dem Band "Im Namen des Vaters, des Sohnes und der heiteren Muse" Revue passieren lässt. Gestützt auf Aufzeichnungen, die O. F. Weidling noch selbst in seine Reiseschreibmaschine gehackt hatte, und ergänzt durch ein langes Familiengespräch mit Mutter und Bruder zeigt der junge Weidling seinen Vater als Familientier, DDR-treuen Hobbyliteraten und wortgewaltigen Witzereißer.

O. F. Weidling war es, der den Begriff "gelernter DDR-Bürger" prägte, und nicht nur mit seinem Weihnachts-Bonmot "zu viel zerreißt den Sack" bereicherte er den Sprachgebrauch der Ostdeutschen.

Doch Weidling war wohl widerborstig, aber beileibe kein Widerständler. Als Teil der volkseigenen Unterhaltungsindustrie hatte der Nationalpreisträger sich wohlig eingerichtet im Arbeiter- und Bauernstaat. Weidlings bewohnten eine Villa mit Sauna und Swimmingpool, seiner Frau schenkte O. F. zum Geburtstag schon mal Meißner Porzellan für 6 000 Mark. Umso härter trifft ihn der Absturz. Nur einige Wochen nach einer Darmkrebsoperation moderiert O. F. Weidling die Wiedereröffnung des Berliner Friedrichstadtpalastes. Gewohnt spitzzüngig kalauert er über DDR-Tabus wie Ausreisewelle und Versorgungslücken, er witzelt über den von Franz Josef Strauß eingefädelten Milliardenkredit und erlaubt sich einen Schenkelklopfer auf Kosten des mächtigen Politbüromitglieds Günther Mittag: "Ich sehe, Genosse Mittag lacht nicht. Oh, er lächelt, ein Stein fällt mir vom Herzen."

Die Karriere des O. F. Weidling ist damit beendet. Schon in der Wiederholung der Fernsehsendung kommt der Conférencier nicht mehr vor. Zwei Wochen später fliegt er auch aus dem Live-Programm. Ohne Erklärung, ohne Berufungsmöglichkeit. Über Nacht ist Weidling eine Unperson, die öffentlich nicht mehr existiert. Verzweifelte Briefe an Honecker ändern nichts. 1985, ein Jahr nach seinem plötzlichen Verschwinden von der Bühne, stirbt O. F. Weidling.