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Nische als Chance Nische als Chance: Kleine Plattenfirmen trotzen der Musik-Krise

Von Christoph Ehrhardt 10.06.2004, 06:00

Hamburg/dpa. - Bei den Branchenriesen der Musikindustrie istdie Champagnerlaune früherer Zeiten Tage gereizter Katerstimmunggewichen - immerhin ist der Plattenmarkt im vergangenen Jahr um einFünftel geschrumpft. Entlassungen von Top-Managern wie Tim Renner(Universal) oder «Deutschland sucht den Superstar»-Juror ThomasStein (BMG) sind deutliche Zeichen nervöser Anspannung. Vielekleinere Plattenfirmen, die so genannten Independent-Labels, stehenden in den Keller rasenden Verkaufszahlen gelassener gegenüber.Zwar leidet die gesamte Branche unter Internet-Tauschbörsen und CD-Brennerei. Doch die Kleinen des Musikbusiness wittern angesichtsder Krise der Großen auch ihre Chance.

«Wir haben an Schlagkraft gewonnen», sagt Thees Uhlmann, derzusammen mit Reimer Bustorff und Markus Wiebusch im Sommer 2000 dasHamburger Label Grand Hotel van Cleef (GHvC) gegründet hat. Esfalle kleineren Plattenfirmen ob der finanziellen Schieflage derGroßfirmen leichter, auf den Markt zu drängen. Die beidenerfolgreichsten van-Cleef-Bands, Kettcar und Tomte, verkauften vonihren aktuellen Alben jeweils rund 25 000 Tonträger - keineGrößenordnung, mit der man in die Top Ten kommt, aber für dieIndies ein echter Erfolg. Geschäftspartner Bustorff sagt, Klein-Labels bedienten vor allem eine Klientel von Liebhabern undÜberzeugungstätern. Die Qualität der Produkte sei dabei einentscheidender Vorteil gegenüber der Massenware, die die großenKonzerne produzierten.

Peter James vom Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen (VuT)bringt die vermeintliche Arbeitsteilung im Musikgeschäft auf eineeinfache Formel: «Die Majors machen Marketing und die Indies machenMusik.» Tatsächlich suchen die Großkonzerne ihr Heil derzeit in derVermarktung großer Namen und Veranstaltungen relativ kurzenVerfallsdatums. Die Indie-Labels setzten nach den Worten des VuT-Chefs auf Vielfalt, den langfristigen Aufbau von Künstlern undTrends sowie Konstanz der Verkaufszahlen - auch wenn diesevergleichsweise niedrig sind.

«Vergleicht man die Situation mit dem Geschäft an der Börse,dann zocken die einen kurzfristig mit Schweinebauchhälften, und dieanderen setzen auf Rentenpapiere», sagt Alex Christensen, der 1998das Label King-Size Records gegründet hat. Der Pop-Produzent, der1992 mit «Das Boot» einen Nummer-Eins-Hit landete, wirft den Großenvor, dass sie durch «Plastik-Pop» und «Wegwerfkünstler» die Musikentwerteten. Außerdem stimme es beim Drumherum nicht: «Musik alsQualitätsprodukt muss hochwertiger präsentiert werden. Das fängtbereits bei der Gestaltung der CD-Hülle an», sagt Christensen.

Für VuT-Chef James hat die Krise aber auch etwas mit derUmsonst-Mentalität vor allem junger Musikfans zu tun: «Die Leuteglauben mittlerweile, dass Musik etwas ist, das man bekommen kann,ohne dafür zu bezahlen.» Eine Aufwertung des Produktes reichtseiner Meinung nach da nicht aus. Man müsse sich mit den neuenStrukturen vertraut machen und sich vor allem bei der Sicherung derUrheberrechte den Herausforderungen des Internet-Zeitaltersstellen. Für Tomte-Sänger Thees Uhlmann liegt das Problem ananderer Stelle: «Popkultur wird in Deutschland nur als Konsumgutund nicht als Kulturgut angenommen. Alles unter Oper und Museumgilt als Schrott. Dabei haben bestimmt mehr Menschen in Kettcar-Konzerten geheult als in der Oper.»