Nils Frahm komponiert Soundtrack zu "Victoria" Nils Frahm komponiert Soundtrack zu "Victoria": Berührende Improvisation zur Dauerschleife

Auf die Frage, ob er jemals die Musik für einen Film komponieren würde, antwortete Nils Frahm stets, dass er auf etwas wirklich ganz Außergewöhnliches warte. Und genau das scheint der Regisseur Sebastian Schipper dem Berliner Pianisten mit seinem Streifen „Victoria“, der in der Vorwoche in die deutschen Kinos kam, geboten zu haben.
Minimalismus als Prinzip
Außergewöhnlich ist dieser 140-minütige Spielfilm, weil er in einer einzigen ungeschnittenen Einstellung gedreht wurde. Die Kameraführung ist vielleicht rekord-, aber auf jeden Fall preisverdächtig. Das dachte wohl auch die Jury der diesjährigen Berlinale, die den norwegischen Kameramann Sturla Brandth Grövlan mit einem Silbernen Bären auszeichnete.
Titelfigur Victoria ist eine junge Spanierin, die auf einer Party in Berlin vier Freunde kennenlernt, mit denen sie die Nacht zum Tag macht. Von ihren neuen Bekannten am anderen Morgen um einen Gefallen gebeten, muss Victoria nach einem Banküberfall das Fluchtfahrzeug steuern.
Die CD wird zwar mit „Burn With Me“ von DJ Koze, einem intelligenten Techno-Track, eröffnet, doch anschließend geht es ebenso minimalistisch wie atmosphärisch mit Frahms fragilen Kompositionen weiter. Wessen Herz von einem Instrumental wie „Our Own Roof“ nicht berührt wird, der dürfte kein Herz haben. Unterstützt wird der Pianist von der Cellistin Anne Müller, dem Violinisten Viktor Orri Árnason und dem Gitarristen Erik K. Skodvin vom norwegischen Ambient-Projekt Deaf Center.
Improvisation zur Dauerschleife
Über die Entstehungsbedingungen der acht „Victoria“-Stücke sagte Nils Frahm: „Die Musik wurde in einer ganz besonderen Umgebung aufgenommen, den ehemaligen Produktionsstätten des Rundfunks der DDR, die heute das Studio P4 beherbergen. Wir stellten einfach einen großen Bildschirm in die Mitte des Raumes, ließen den Film in Dauerschleife laufen und improvisierten gemeinsam dazu.“ Mit der Musik zu „Victoria“ erweist sich Frahm einmal mehr als Meister der Entschleunigung. Für seinen Soundtrack erhielt der 32-Jährige zu Recht eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis.
„Solo“ heißt Frahms erstes Album des Jahres. Es enthält acht Stücke, die er am Klavins M370 spielte. Dabei handelt es sich nicht um einen Supercomputer, sondern um das wohl größte, aufrecht stehende Klavier der Welt. Es ist 3,70 Meter hoch und 1,8 Tonnen schwer. Seine längste Saite misst drei Meter. Das gewaltige Instrument steht in Tübingen und sein Erfinder heißt David Klavins. Das M370 wurde ursprünglich gebaut, um zu ermessen, was die maximale, sinnvoll nutzbare Größe eines Klaviers ist. Wie die Aufnahmen von Nils Frahm beweisen, ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, denn das M370 klingt weich und warm und auch ohne großartige Akustik unglaublich voluminös.
Langsam, sanft, voluminös
„Die Freude am Spielen und dem Zuhören des Klangs brachten mich dazu, immer langsamer und sanfter zu spielen“, erinnert sich Nils Frahm an die drei Tage Anfang 2014, als er am M370 saß. Und so bewegen sich die acht improvisierten Instrumentalstücke vor allem ganz nahe an der Stille.
Erschienen sind „Victoria“ und „Solo“ wie alle Veröffentlichungen Frahms seit 2009 bei Erased Tapes, einem kleinen, aber überaus innovativen Label. Größere Plattenfirmen können ihn nicht locken: „Ich bin ein loyaler Mensch und kann von meiner Musik sehr gut leben“, sagte Frahm, der ein eigenes, Durton genanntes Studio in seiner Wohnung im Berliner Wedding hat: „Ich brauche da nicht viel“, betont der Komponist, der also nicht nur musikalisch ein Minimalist ist.

