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Nietzsche-Haus in Naumburg Nietzsche-Haus in Naumburg: Zarathustra in Stahlgewittern der Kriege

Von kai agthe 23.05.2014, 08:44
Was Nietzsche und die Expressionisten vom Krieg hielten, zeigt die Schau von Jens-Fietje Dwars.
Was Nietzsche und die Expressionisten vom Krieg hielten, zeigt die Schau von Jens-Fietje Dwars. torsten biel Lizenz

naumburg/MZ - Mit dem „Zarathustra“ als geistiger Wegzehrung im Tornister soll der deutsche Soldat in den Ersten Weltkrieg gezogen sein. Jenes Kultbuch der Jugend um 1900, das zu Lebzeiten seines Autors wie Blei in den Regalen lag. Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ erschien in vier Teilen (1883-1885) - der letzte gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit: als Privatdruck.

Aber was ist dran an der Mär, dass der Landser im Ersten Weltkrieg neben Dauerwurst und Socken auch Nietzsches „Zarathustra“ bei sich führte? „In den fünf Kriegsjahren“, so ist eingangs der Schau „Nietzsche, Expressionismus, Weltkrieg“ in Naumburg über das Buch zu erfahren, „verdoppelte sich der Absatz bis Ende 1918 auf 224 000 Exemplare, davon 54 000 Kriegsausgaben in derbem Leinen.“ Die Zahlen sprechen für sich, gewiss. Allerdings lässt sich nicht sagen, ob all diese Bücher wirklich mit Inbrunst gelesen wurden. In einer Vitrine sind diverse „Zarathustra“-Ausgaben zu sehen, so auch die Prachtausgabe Henry van de Veldes von 1908 – nur besagte Feldausgabe fehlt leider.

Dass Nietzsches Schrift überhaupt als soldatische Erbauungsschrift verbreitet wurde, verdankt sich wohl Passagen wie dieser: „Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers.“ Das freilich klingt heute unfreiwillig komisch.

Der berittene Kanonier

Nietzsche habe sich selbst zum Krieg erzogen, heißt es in der Ausstellung: Als Kind spielte er mit Freunden die Schlacht von Sewastopol während des Krimkriegs 1855 nach und 1867 meldete er sich freiwillig zur Fahne: In Naumburg leistete er einjährigen Militärdienst als berittener Kanonier - fiel aufs Pferd (es hieß Balduin) und war ein halbes Jahr krank.

Auch der Versuch, im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 seinen „Pflichten gegen das Vaterland zu genügen“, ist Nietzsche - der seinerzeit als Philologie-Professor in Basel lehrte - schlecht bekommen: Als Sanitäter steckte er sich mit Ruhr und Rachendiphterie an.

Nein, Nietzsche war kein Krieger - und er hatte trotz seiner holzschnittartigen Vorstellung vom Soldaten, wie sie im „Zarathustra“ anklingt, eine weit klarere Vorstellung von Krieg und Frieden als viele seiner philosophierenden Zeitgenossen. Für ihn sei das einzige wirkliche Mittel zum Frieden der „Frieden der Gesinnung, während der sogenannte bewaffnete Friede, wie er jetzt in allen Ländern einhergeht, der Unfriede der Gesinnung ist“, heißt es in „Menschliches, Allzumenschliches“.

Der dichtende Denker war, wie Kurator Jens-Fietje Dwars zurecht bemerkt, Symbolist. Auch deshalb schwebt über der expressionistischen Ästhetik Nietzsches Geist, wie die Schau am Beispiel von Künstlergruppen (Die Brücke, Der blaue Reiter) und literarischen Zeitschriften (Die Aktion, Der Sturm) darlegen kann.

„Faul, ölig und schmierig“

Die Expressionisten haben Nietzsches Werk intensiv rezipiert. Ob das deren Kriegsbegeisterung beförderte, möchte man nicht hoffen. Zitate des Malers Max Beckmann und des Dichter Johannes R. Becher, aber auch der nicht-expressionistischen Schriftsteller Thomas Mann und Robert Musil zeigen, wie öde, ja „faul, ölig und schmierig“ (Georg Heym) diese Friedenskinder ihre Zeit empfanden - und sich einen Krieg herbeisehnten. Das Erwachen war entsprechend böse, als die Generation Langeweile erlebte, was Krieg bedeutet. Für die Generalität mag er eine Badekur gewesen sein, für den Landser war er eine traumatische Erfahrung, die auch die Expressionisten machten.

Allen voran Otto Dix (1891-1969), von dem eine Auswahl Radierungen aus dem Zyklus „Der Krieg“ zu sehen ist. Auch sechs Jahre nach Kriegsende visualisiert der aus Gera stammende Expressionist die Ereignisse auf dem Schlachtfeld und im Schützengraben so intensiv, als hätten sie sich erst gestern zugetragen.

Dix’ Drucke sind die kongeniale Illustration zu Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“. Man betrachte nur ein Blatt wie „Leiche im Drahtverhau“, wo ein toter Soldat uns mit großen Augen anschaut und mit starren Händen nach uns greifen will. Eine Hörstation lässt den Künstler selbst zu Wort kommen: „Otto Dix spricht über Kunst, Religion, Krieg“ ist eine unbearbeitete Aufnahme von 1963. Im schweren thüringischen Dialekt nuschelt er, hustend und auf den Tisch klopfend, seine Weltsicht. Er spricht nicht, er monologisiert ohne Punkt und Komma: „Manchmal rede ich nicht“, hört man Dix sagen, „sondern es redet, es redet aus mir.“

Noch lange nachhallend

Das Fazit, das der Kurator aus dem Nebeneinander von Nietzsche, Expressionismus und Weltkrieg zieht, fällt so symbolistisch aus wie des Philosophen späte Texte: Demnach müssen wir „Nietzsche und den Expressionismus als Blitze begreifen, die aufleuchten lassen, was der Donner des Weltkrieges wenig später hörbar macht: das Grollen einer sich selbst zerstörenden Welt“, so Dwars.

Diese Schau ist ein kleiner, aber gewichtiger Beitrag zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg, der im Besucher noch lange nachhallt.

„,Ich verspreche ein tragisches Zeitalter…‘ – Nietzsche, Expressionismus, Weltkrieg“ bis 31. März 2015 im Nietzsche-Haus Naumburg, Di bis Fr 14 bis 17 Uhr, Sa/So 10 bis 17 Uhr