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"Neun Nonnen fliehen" in Bad Lauchstädt "Neun Nonnen fliehen" in Bad Lauchstädt: Der Reformator ist ausgebrannt

Von Andreas Montag 07.09.2013, 06:49
Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt

Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt
 Andreas Stedtler Lizenz

Bad Lauchstädt/MZ - Ein Abend nach Maß ist gewesen für das Festspiel der deutschen Sprache im Goethe-Theater Bad Lauchstädt: spätsommerlich warm und ein hochgestimmtes Publikum, darunter viel Prominenz aus Politik und Gesellschaft. Sektchen und Bussis gab es vorab, nette Gespräche – wie es sein soll bei theatralischen Anlässen dieser Art. Nur der Autor, der 82-jährige Dramatiker Rolf Hochhuth, wirkte ein wenig brummig, was auch an den Kürzungen gelegen haben mag, die sein eben hier, in Bad Lauchstädt, uraufgeführter Text „Neun Nonnen fliehen“ über Martin Luther und Katharina von Bora noch erfahren hatte. Aber das Granteln lässt man einem Star wie Hochhuth durchgehen, immerhin saß er geduldig am Büchertisch neben dem Eingang und signierte unerschüttert, was ihm die Damen und Herren hinstreckten. Auch Programmhefte.

Der Frieden im milden Abendsonnenschein wäre fast vollkommen gewesen für das Publikum und die honorigen Gäste, darunter Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, dessen Amtsvorgänger Wolfgang Böhmer (alle CDU), die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper und der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher (beide FDP) sowie Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) und die Anregerin des Festspiels, die Kammersängerin Edda Moser. Aber am Rande des Festgeländes, dessen Betreten ihnen von Sicherheitskräften verwehrt wurde, verteilten Mitglieder der von drastischen Einsparungen bedrohten Bühnenensembles aus Dessau, Eisleben und Halle einen Protestbrief. Unter der Überschrift „Luther-Land ist abgebrannt“ machen sie darin auf Ihre Situation aufmerksam und halten der Landesregierung sarkastisch vor, sich ein solches Festspiel samt Luther-Stück zur Reformationsdekade in Bad Lauchstädt zu leisten, während sie zeitgleich den betroffenen Häusern sieben Millionen Euro an Zuschüssen streicht.

Viele der Gäste nahmen die Flugschrift gern an, eine Dame sprach gar von Wut, die sie habe wegen der kulturpolitischen Lage im Lande. Und Bernd Neumann, der die Magdeburger Regierung, immerhin von einem Parteifreund geführt, schon einige Male deutlich gerüffelt hat wegen ihrer Kulturknauserei, bekam den stärksten Applaus des ganzen Abends für seine Antwort auf die selbstgestellte Frage, ob wir uns eine so reiche Kultur wie die hergebrachte weiter leisten könnten: „Ja. Ja. Und nochmals Ja!“

Hochhuths Stück indes, von einer erlesenen Schauspieler-Riege szenisch gelesen, hat dem Publikum fast ebenso gut gefallen wie Neumanns emphatisches Bekenntnis. Dabei hatte die Truppe um Caroline Beil, Anna Thalbach, Uwe Bohm, Dominique Horwitz und Hans Stetter einen Text anzubieten, der durchaus nicht nur spielerisch mit dem Reformator, seiner Katharina und den Reformationsdingen umgeht, sondern wesentlich auch die Ansichten des streitbaren und streitlustigen Autors zu Politik, Ehe und zur Weltlage im Allgemeinen transportiert.

Das ist natürlich des Dramatikers Recht, auch war von einem politischen Dreinredner, als der Hochhuth seit seinem legendären Vatikan-Schocker „Der Stellvertreter“ aus dem frühen 60er Jahren bekannt ist, nicht weniger zu erwarten gewesen. Ästhetisch ist das allerdings manchmal ein Problem, wenn die Stimme des Verfassers nicht allein aus dem klug gesetzten Sprecher (Hans Stetter), sondern auch aus den Figuren spricht. Dann reiht sich Bonmot an Bonmot, mitunter ist es des Guten einfach zu viel. Und einige Male, besonders eingangs, wenn Katharina und die übrigen, mit ihr aus dem Kloster entwichenen Nonnen in der Elbe baden und hernach ihren Unterstützern, vier Männern insgesamt, deren Mut mit Sex belohnen, wirkt die Konstruktion schon sehr gewollt.

Freilich ist es von Reiz, die Leerstellen der historischen Überlieferung lustvoll fabulierend zu füllen, doch fallen die sinnenfrohen jungen Damen mit ihrer unbekümmerten Leiblichkeit und auch mit ihrer scharfen Kritik an Papsttum, Zölibat, Kirche und sogar am bewunderten Luther, zu dem sie streben, schlechthin doch ein wenig zu gewaltsam aus der Handlungs-Zeit.

Später formt sich gleichwohl ein stimmigeres Bild, ein Doppelporträt Luthers (Dominique Horwitz) und Katharinas (Caroline Beil). Letzterer, Katharina, „einer der mutigsten Frauen des ausgehenden Mittelalters“, wie Edda Moser eingangs sagte, ist das Stück eigentlich gewidmet. Keine so neue Lesart, aber wohl die wahrhaftigste. Luther indessen wird als ein Mann voller Schwächen gezeichnet, dem nach seinem größten Sieg, dem über die eigene Angst vor der Größe dessen, was er mit dem Aufstand gegen die Machtstrukturen der Römischen Kirche angezettelt hatte, zunehmend die Konsequenz und auch die Kraft ausgingen: Kein Widerstand gegen die Verbrennung von angeblichen Hexen, kein Mut, dem aufständischen Priester Thomas Müntzer, dem Anführer der rebellierenden Bauern, Unterstützung, ja wenigstens Sympathie zu gewähren.

Das letzte Wort in der geradezu abrupt endenden Aufführung hat der Maler Lucas Cranach (Uwe Bohm), der Mann, der ein Verhältnis mit Katharina, seinem Modell, hat und für Luther viel Verständnis aufbringt: Luther sei ausgebrannt, „das geht jedem Tüchtigen so“. Ein bisschen klingt es so, als sei der Satz auch zum Autor gesprochen. So sprachmächtig sein Stück streckenweise auch ist, so humorvoll und scharfsinnig, so sehr verliert es sich selbst oft an die flinke, gelegentlich ungeniert populistische Pointe: Gott oder Kriege, es könne nur eines geben, heißt es einmal. Hier springt Hochhuth eindeutig zu kurz, so radikal humanistisch er sich dabei fühlen mag. Was Gott in den Menschen bewirkt, ist schließlich eines der großen Streitthemen. Zu des Reformators Zeiten. Und heute auch.