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neues theater halle neues theater halle: Kür der Paare lebt vom täglichen Töten

Von ANDREAS MONTAG 01.02.2009, 18:57

HALLE/MZ. - Gut erhaltener Klassiker

So ist Edward Albees Drama "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" am Samstagabend wohl noch mit besonderer Aufmerksamkeit von den Premierengästen auf der "Werft" erwartet worden, wie die kleine Bühne der halleschen Kulturinsel sich nennt. Denn wenn auch fast fünf Jahrzehnte Zeit zwischen dem gut erhaltenen, 1962 in New York uraufgeführten Klassiker und der Wirklichkeit im postsozialistischen Osten liegen - die kulturelle Erfahrung ist allemal auch hier im gleichen Grundmuster gefangen: Wieviel Größe gestattet ein Partner dem anderen, um sich selbst nicht vor ihm zu erniedrigen?

Martha (Elke Richter) und George (Jörg Lichtenstein) führen die Ehehölle in allen Facetten vor. Der Endvierziger sieht noch ganz passabel aus, er ist sechs Jahre jünger als seine Frau - und er ist ein Verlierer. Als einfacher Lehrer an einem Provinz-College führt er ein unbeachtetes, von seiner Frau verachtetes Dasein. George wehrt sich mit Zynismus und spült den bitteren Rest mit Unmengen von teurem Schnaps hinunter. Die Flaschen geben denn auch sinnreich den Hintergrund der funktional gebauten Bühne (Petra Winterer) ab.

Martha, die frustrierte Tochter von Georges Chef, ist ebenso zynisch wie ihr Mann und steht ihm auch im Saufen nicht nach. Als ein junges Paar, Neuankömmlinge am College, zu einer Party bei Martha und George erscheint, steuert das Ritual aus Hass und Selbsthass einem neuen Höhepunkt entgegen. Der karrieregeile Nick (Matthias Zeeb) und seine beschwipste Frau Honey (Sophie Lüpfert), ein gar nicht so dummes Blondchen mit einem geerbten Sümmchen als Liebespfand, werden zwangsläufig in die Kampfhandlungen verwickelt.

Dabei zeigt sich rasch, dass die jungen Leute die Mechanismen längst parat haben: Ihre Grausamkeit ist nicht minder subtil, die uneingestandene Angst größer, die Gleichgültigkeit abgründiger. Der Regisseurin Tanja Richter und ihren durchweg hochkonzentrierten Darstellern, unter denen Jörg Lichtenstein herausragt, gelingt ein dichtes, temporeiches Stück aus den Abgründen menschlicher Endzeit, die noch entsetzlicher anzusehen sind, weil sie so hart von einer gern kolportierten, gleichwohl unumstößlichen Erkenntnis kontrastiert werden: Das Leben muss weitergehen.

Wenn Martha und George am Ende aller Spiele angelangt sind, wie sie ihre entblößenden und verletzenden Exerzitien nennen, wird dieser unausgesprochene Satz noch einmal in Gedanken gewendet werden müssen: Dem, was nach schaler Weisheit zu schmecken schien, geben die Protagonisten noch einen neuen Sinn. Nach allem, was sie einander und sich selbst angetan haben, nachdem Martha mit dem allzeit bereiten Nick geschlafen und George die Legende vom Kind, das Martha und er gehabt hätten, getötet hat, finden sie sich in verzweifelter Nähe.

Das Grelle tritt zurück

Plötzlich ist die Trunkenheit von ihnen gefallen, die Gemeinheit auch, alles Grelle und Laute tritt zurück hinter Erschöpfung, auch Erleichterung. Das ist gar nicht bigott, sondern nur konsequent. Ja, das Leben wird weitergehen, wie es scheint. Aber die Schuld ist nicht aus der Welt. Wogegen sich die Krise der Finanzmärkte direkt bescheiden ausnimmt. Der Beifall im Neuen Theater hingegen fiel mehr als üppig aus. Sehr zu recht.

Nächste Vorstellungen am 12. und 13. Februar, jeweils um 20 Uhr, Werft