Fassbinder im Neuen Theater Neues Theater Halle: Angst essen Seele auf von Rainer Werner Fassbinder

Halle (Saale) - Das wunderbare Märchen der Liebe kann schnell zu einem Skandal werden - es kommt ganz auf die Umstände an. Auf die Liebenden selber natürlich, aber ebenso auf die Umwelt, der sie sich, auch wenn sie es wollten, nicht entziehen können. Das Private wird zum Öffentlichen, die Gesellschaft zum Richter - sogar, wenn sie niemand dazu bestellt hat. Oder gerade dann.
Der wohl bedeutendste deutsche Filmemacher der Nachkriegszeit, Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), hat in „Angst essen Seele auf“ eine solche Geschichte exemplarisch erzählt. 1974 gedreht, teilt der Film mit Brigitte Mira in der Hauptrolle mehr über den Zustand der damaligen westdeutschen Gegenwartsgesellschaft mit, als viele andere Produktionen.
Nun hat Halles Schauspiel-Intendant Matthias Brenner den Stoff als Lehrstück für die Bühne bearbeitet und an seinem Haus, dem Neuen Theater, mit großem, stark applaudiertem Erfolg zur Premiere gebracht.
Angst essen Seele auf am Neuen Theater in Halle: Inszenierung mit politischer Aktualität und Brisanz
Die mehr als 40 Jahre alte Liebesgeschichte, seinerzeit einer verwitweten Deutschen, die schon erwachsene Kinder hat, und einem jungen Gastarbeiter aus Marokko zugeschrieben, wird nun genau so, aber vor dem jedermann geläufigen Hintergrund der Zuwanderung von Migranten erzählt. Das macht die politische Aktualität und Brisanz der Inszenierung aus.
Fast zeitgleich zur Premiere in Halle hat in den USA Donald Trump sein Amt als Präsident angetreten, auf ihn (und seinen unverhohlenen Nationalismus) haben sich am Wochenende in Koblenz führende europäische Rechtspopulisten berufen, darunter die AfD-Chefin Frauke Petry: Die Freiheit des Individuums und die kulturellen Errungenschaften der europäischen Staaten seien bedroht, sagte sie, Technokraten und „Sozial-Ingenieure“ würden behaupten, es sei ewig gestrig und unmodern, an seinen Sitten und Traditionen festzuhalten, „zumindest wenn man ein weißer Europäer ist“.
Hier, auf der halleschen Bühne, wird von einer weißen Europäerin erzählt, Emmi Kurowski, die in den Augen ihrer Nachbarn allerdings sowieso eine halbe Ausländerin ist. Denn Emmis verstorbener Mann ist Pole gewesen. Kurowski, der Name sagt es schon. Und nun verliebt sich diese Frau in einen um Jahrzehnte jüngeren Nordafrikaner, einen „Nafri“, wie die Polizei in Nordrhein-Westfalen sagen würde.
Zwei Dinge also, Vergehen geradezu, die das gesunde Volksempfinden nicht durchgehen lassen kann. Ein junger Liebhaber wäre schon schlimm genug, aber ein „Neger“? Das geht nun wirklich entschieden zu weit. Da macht es auch fast keinen Unterschied mehr, dass Emmi ihren Ali heiratet.
Emmi ist jetzt eine Hure in den Augen der jungen, natürlich hochanständigen deutschen Frauen wie Barbara (Bettina Schneider), der Gattin des Gastwirts Anton Angermayer (Hilmar Eichhorn). Die hat sich den Ali früher schon mal ins Bett geholt, der seine Traurigkeit über die erfahrene Ablehnung im Gastland nicht nur mit Bier, sondern auch mit Sex zu betäuben versucht. Und der Angermayer ist halt alt und dick.
Brenner erzählt mit Fassbinder sehr präzise von einer bigotten Gesellschaft, die einem verdammt heutig vorkommen mag. Neid, Missgunst, Rachsucht und verlogene, weil heimlich ausgelebte Geilheit treffen auf das, zugegeben, ungleiche Paar.
Elke Richter spielt die Emmi in Angst essen Seele auf im Neuen Theater in Halle großartig
Emmi hingegen, großartig gespielt von Elke Richter, hat es sich nicht leicht gemacht, auf den jungen Ali zuzugehen. Aber dann, als sie ihn will und spürt, dass auch er sie begehrt, lässt sie sich, schüchtern erst und fast verschämt, auf diese Liebe ein. Und zwar bedingungslos.
Salem, der Ali genannt wird und eigentlich noch viel komplizierter heißt, wird von Benito Bause als sehnsuchtsvoller, aber auch schwacher Junge gespielt. „Angst essen Seele auf“ ermutigt er seine Frau, und dann geht er doch wieder zu Barbara, lässt sich in ihrem arabischen Restaurant zum Essen einladen und schläft mit ihr.
Die Szene, in der Emmi ihrem Mann seine Freiheit auch in der Liebe zugesteht, wenn er nur bei ihr bleibt, ist hinreißend und herzzerreißend wie eigentlich alles, was zwischen den beiden passiert. Immer dann, wenn die Dramaturgie (Alexander Suckel) und damit das Spiel nahe an den Protagonisten sind, ist man gefesselt davon.
Hier liegt freilich auch ein Problem der Umsetzung für das Theater: „Angst essen Seele auf“ ist ein fast minimalistisches Kammerspiel. Das lässt sich nicht ohne Weiteres auf die große Bühne (Nicolaus-Johannes Heyse) übersetzen - zumal, wenn sie wie in Halle mutig quer durch den ganzen Saal gebaut ist. Hat man auf der einen Seite die Andeutung des Wohnhauses, liegt gegenüber, aber tatsächlich weit entfernt, das Lokal der Barbara Angermayer.
Die Gänge des Schauspiel-Personals sind weit, auch wenn schnelle, filmisch anmutende Schnitte das Tempo - und damit die Spannung hoch halten sollen. Im Zentrum, als Ruhepol zwischen allem und allen sozusagen, liegt der Tresen-Olymp des alten Angermayer, wo aber auch mal Emmis Schlafzimmer ist.
Alles in allem eine gelungene Inszenierung, zu der ein engagiertes Ensemble gestandener Darsteller (darunter Barbara Zinn, Peter W. Bachmann, Joachim Unger sowie Jörg Simonides) und junger Akteure (Sybille Kreß, Nils Thorben Bartling, Paul Maximilian Pira) beitragen. Nicht zu vergessen die Mitglieder des multikulturellen Musik-Projekts „Arabische Oase“ und des Tanz-Projekts „Was uns bewegt“.
Ihnen kommt es in Brenners Inszenierung zu, das Märchen von der Liebe in eine Zukunft zu verlängern, von der wir freilich nicht wissen, ob sie freundlich sein wird.
Nächste Aufführungen am 4. Februar um 19.30 Uhr und am 5. Februar um 15 Uhr im Saale des Neuen Theaters. (mz)