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Neues «Alp-Traumspiel» von Marthaler an der Volksbühne Berlin

Von Peter Claus 01.12.2006, 11:51

Berlin/dpa. - Berlin ­ Mit einer szenisch-musikalischen Collage nach Ödön von Horvaths «Geschichten aus dem Wiener Wald» hat Regisseur Christoph Marthaler an der Volksbühne Berlin erneut ein atmosphärisch dichtes «Alp-Traumspiel» geschaffen.

Der größte Teil des Premierenpublikums ließ sich darauf gestern Abend mit spürbarer Wonne ein. Marthaler hat die Handlung des vor 75 Jahren uraufgeführten Stückes in die Gegenwart verlegt. Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat ihm dazu eine Spielfläche kreiert, die von der Tristesse einer anonymen Betonvorstadt geprägt ist.

Die düstere Geschichte des vergeblichen Versuchs der jungen Marianne, dem Grau-in-Grau eines muffig-spießigen Lebens zu entkommen, spielt zwischen Kino-Kasse und Kneipenbänken.

Wie so oft übt der Schweizer Regisseur Marthaler (55) auch dieses Mal Zeitkritik in Moll. Die Figuren tänzeln und stolpern durch das Geschehen. Das kennzeichnet sie überdeutlich als hoffnungslos ziellose Menschen. Einer der zentralen Sätze des Stückes lautet: «Diese heutige Zeit ist eine verkehrte Welt.»

Selbst wenn gesungen wird, und es wird viel gesungen, kommt keine Heiterkeit auf. Die Reihe der Folk- und Rockballaden und Chansons illustriert nur das Verlorensein der Protagonisten in Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit - was sogar einige burleske Slapsticknummern prägt.

Sämtliche Akteure spielen mit spürbarer Lust. Herausragend: Bettina Stucky als Marianne. Sie ist nicht, wie sonst oft in Inszenierungen des Stückes zu erleben, ein sanft-elegisches Wesen, sondern eine äußerlich überaus kraftvoll anmutende junge Frau. Mit geringen darstellerischen Mitteln gelingt es der Schauspielerin jedoch, das Verletzliche, das Ängstliche im Innern Mariannes aufzudecken.

Das Verblüffende an dem Abend ist, wie es gelingt, die Parallelen zwischen dem Gestern und Heute aufzudecken, ohne dass dies aufdringlich wirkte. «Alles schon mal da gewesen», scheint über dem ganzen Abend zu stehen. Am Ende prägt sich die Mahnung ein, dass die bürgerliche westliche Welt am Ende ist.

www.volksbuehne-berlin.de (dpa)