Neo Rauch Neo Rauch: Es geht ihm immer um ein Weltbild
LEIPZIG/MZ. - "Das Beste kommt noch" steht über der Tür zum Atelier von Neo Rauch, aber die unablässig wachsende Gemeinde seiner Bewunderer oder auch Kritiker wird sich zufrieden geben mit der "ersten großen Retrospektive" des Leipziger Malers und Stars der internationalen Kunstszene.
Gemessen am Medienrummel ist ein Massenansturm auf die Ausstellung zu erwarten, die zu seinem 50. Geburtstag am Sonntag gleich im Doppelpack verabreicht wird: 60 Gemälde zeigt das Leipziger Museum der bildenden Künste ab Sonntag, ebenso viele die Münchener Pinakothek der Moderne. Keiner nimmt dem anderen etwas, eine thematische oder chronologische Trennung scheint nicht beabsichtigt: "Es ist ein Muss, beide Ausstellungen zu besuchen", erklärt Bildermuseum-Chef Hans-Werner Schmidt großmütig.
Die Gleichwertigkeit der Verhältnisse spiegelt auch der Katalog, der, in Kunstleder gebunden, in der Mitte geteilt ist und von der einen Seite für Leipzig und herumgedreht von der anderen Seite für München zu lesen ist. Als Scharnier in der Mitte dient, von grauem Karton separiert, ein ebenso links- und rechtsherum lesbarer Text von
Uwe Tellkamp. Dass dem Dresdner Romancier die Prominenz der Neo Rauch-Exegese zukommt, hat Methode. Die Museen, personell geschröpft, öffnen sich den Interessen der Sammler, Sponsoren und mittlerweile auch der Künstler. Sie sind immer weniger willens oder in der Lage ihren aufklärerischen Auftrag zu erfüllen - und so befassen sich im Katalog Freunde des Malers mit seinem Werk, Literaten, Kunstkritiker, Malerkollegen - darunter auch die eigene Ehefrau.
Außer Tellkamp bespricht jeder Autor je ein Bild und macht, anders als dieser, in der Regel relativ wenig Worte. Da ist durchaus manch originelle Einsicht zu gewinnen, aber der Duktus ist doch getragen von der Hommage an den großen Meister. Das mag in seinem Sinne sein, der den Autoren bescheinigt, seine Bilder genau so zu betrachten, wie er es möchte, "so, wie man einem Traum nachspürt".
Angesprochen auf eben diese Bildsprache des Traumes in seinen Werken, antwortete Rauch am Freitag auf die Frage einer Journalistin: "Man muss den Sinn nicht lesen, den erlebt man einfach." Trotzdem ist es hilfreich, dass ein Audioguide, schick auf den iPod gespielt, dem Besucher beim Entschlüsseln wenigstens einiger der Bilder hilft. Diese sind aber ein einziger fortgesetzter Kommentar zum Zeitgeist, getragen von einer zutiefst kulturkonservativen Haltung. Ihr ordnet Rauch alles unter. Das Instrumentarium seines Kosmos dient seiner großen Allegorie vom Weltgeschehen - das aus der Zeit gefallene Personal, die komplexe Bildstruktur, die gedämpfte Palette, die Anklänge an die Leipziger Schule ebenso wie den sozialistischen Realismus nebst Anleihen beim Surrealismus und Elementen des Comics. Man übersieht dabei gern, dass der begnadete Kolorist ausgerechnet in der Figurenmalerei, die sein Ehrgeiz ist, manch erstaunlichen Lapsus zulässt - perspektivisch verkürzte Gliedmaßen sind seine Sache nicht, Hände schrumpfen zu Klumpen. Das Überfluss des Erzählerischen lenkt ab, es geht ihm um ein Weltbild.
Immer wieder ist er es selbst in seiner Rolle als der Künstler und Mittler, der sich im Auge des Sturms sieht, der Bedrängnis ausgesetzt, der Selbstsuche unterworfen. In dieser janusköpfigen Rolle erwehrt er sich des dräuenden Bösen, schürft nach dem Allzeit-Gültigen, das ihm Schutzraum ist, wie er sagt, ihm auf die sichere Seite hilft. Das alles sieht er bedroht vom "Unreinen" wie auf dem gleichnamigen Bild, wo monströse Höllenhunde den Morast ausschlürfen. Er schließt es ein in die wabernden Erscheinungen, die durch seine Bilder geistern, erkennt es in der absterbenden Natur, den lebensfeindlichen Landschaften und Bauten. Aber er gibt ihm auch Ausdruck in vielerlei Protagonisten, Technikern, Soldaten, Jägern - und immer wieder den Agitatoren.
Doch wohin entwickelt sich Neo Rauch? Beide Häuser zeigen sein Werk nicht chronologisch, aber selbst wenn einmal des Künstlers erklärter Wunsch in Erfüllung gehen sollte und ein Museum all seine Bilder versammelte, so würden diese, behauptet er, nirgends Brüche zeigen, nur "ein Fließen und Strömen", das Anschließen von einem Bild ans andere. Tatsächlich aber entdeckt man in Leipzig ein Bild aus dem Jahr 2002, das aus diesem Fließen offensichtlich herausfällt, weil es keinerlei Figuren und nur einen "Acker" zeigt - blutrot mit tiefen Schollen im Vordergrund, aus denen nur verdorrte Halme wachsen.
Es gibt ein früheres kleines Landschaftsbild, dieses aber überrascht in seiner Monumentalität und seiner Symbolhaftigkeit, die an Anselm Kiefers mythosgetränkte deutsche Landschaften denken lässt. Es ist an der Zeit, Neo Rauchs Bilder einmal doch auf ihre Bezüge zu lesen, die nicht nur Traumdeuterei sind.