NDR-Doku "Im Nazidorf" NDR-Doku "Im Nazidorf": "Das sind keine Neonazis hundertprozentig nicht"
Berlin - Am Anfang möchte man das alles für Slapstick halten, für einen gefährlichen noch dazu. Das gilt besonders für jenen Augenblick, in dem der Unternehmer und Neonazi Sven Krüger dem NDR-Reporter Michel Abdollahi mit dem Rasenmäher entgegen fährt und Sätze sagt wie: „Gewalt ja oder nein – daran kann man einen Menschen festmachen, aber nicht an politischen Überzeugungen.“ Und mit Gewalt habe er schon lange nichts mehr zu tun. „Früher habe ich nichts ausgelassen“, erklärt Krüger, der den Arglosen mimt. „Aber jetzt bin ich 40 Jahre alt und habe drei Kinder – was soll ich mich noch rumprügeln?“ Dabei ist er mehrfach vorbestraft, auch wegen Körperverletzung.
Wenngleich Abdollahi bekennt, dass er den kahlgeschorenen Mann mit Ringel-T-Shirt und tätowierten Unterschenkeln sogar „irgendwie auch ein bisschen sympathisch“ findet, macht er nicht den Fehler, ihm auf den Leim zu gehen. Im Gegenteil: Das, was zu Beginn wie Slapstick anmutet, wird zu einem gruseligen, aufklärerischen Dokument über jenes Dorf Jamel bei Wismar in Mecklenburg, in das das mehrfach mit Preisen geehrte Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer einst zog, um in Frieden zu leben – und indem sie jetzt von Neonazis umgeben sind. Gefährlichen Neonazis, wie dieser Film zeigt.
Der Reporter mit den iranischen Wurzeln und dem lupenrein norddeutschen Akzent hat nämlich vier Wochen in dem Dorf verbracht, hat für Gebührengeld ein kleines Holzhaus auf den Dorfplatz stellen lassen, Gardinen aufgehängt, Grillabende veranstaltet und versucht, Kontakt zu den Bewohnern aufzunehmen. Das Geld ist gut investiert.
Michel Abdollahi fängt Neonazi-Demos ein
Abdollahi fängt das Wandgemälde ein, das Fremde empfängt und auf dem steht: „Dorfgemeinschaft Jamel – frei, sozial, national“. Auch das Hinweisschild auf Braunau am Inn fehlt nicht – den Ort, in dem Adolf Hitler geboren wurde. Er spricht mit der seit Jahrzehnten in Jamel lebenden Hausfrau, die allen Ernstes sagt: „Das sind keine Neonazis, hundertprozentig nicht.“ Sie hätten nur „auch ihre eigene Meinung“. Abdollahi interviewt die NPD-Funktionärin Doris Zütt, die ihm freundlich, jedoch bestimmt erklärt: „Ihre Eltern haben Sie entwurzelt.“ Damals, als sie aus dem Iran nach Deutschland zogen. Ober-NPDler Udo Pastörs kommt ebenfalls zu Wort und nennt den Hinweis auf Braunau grimmig „Geschmacksache“. Der Reporter fängt schließlich Neonazi-Demos aus der Umgebung ein, in denen militante Typen Parolen grölen wie: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“ Darunter Krüger. Überhaupt entwickelt sich dieser Krüger, der Zug um Zug andere Neonazis nach Jamel holte, zum Kronzeugen gegen sich selbst, weil er aus seiner Gesinnung immer weniger einen Hehl macht.
Besonders kalt läuft es einem den Rücken runter, als ein scheinbar unbeteiligter und schüchtern wirkender älterer Dorfbewohner dem beharrlich nachfragenden Abdollahi mitteilt, er wisse gar nicht, wer dieser Hitler gewesen sei. Plötzlich tritt der machtbewusste Krüger hinzu und ruft kalt lächelnd: „Klaus, hast Du Dich um Kopf und Kragen geredet?“ Später sieht man den schüchternen Klaus bei einer Neonazi-Demo mitmarschieren – just den Klaus, der angeblich nicht weiß, wer Hitler war.
Birgit und Horst Lohmeyer wollen in Jamel bleiben
Die Krönung des Films sind die Normalbürger aus Wismar, die der ungebetene Gast auf Zeit zum Schluss befragt und die ihm zum Thema Ausländer Sätze ins Gesicht sagen wie: „Was wollen die hier? Wir haben doch selber mit uns zu tun.“ Da wird klar, worauf die Krügers dieser Welt aufbauen können.
Zwischendurch kommt übrigens auch Horst Lohmeyer zu Wort. Ihm und seiner Frau Birgit haben vermutlich Neonazis aus dem Krüger-Umkreis kürzlich die Scheune abgefackelt – nach vielerlei Drohungen vorher. Die Lohmeyers wollen in Jamel bleiben. Nach Michel Abdollahis Reportage „Im Nazidorf“ muss man vor beiden noch tiefer den Hut ziehen als zuvor. Sie haben sich alle Preise redlich verdient.