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«Nachtgedanken» «Nachtgedanken»: Wenn Marlene Dietrich nicht schlafen konnte

Von Margit Boeckh 18.11.2005, 18:22
Marlene Dietrich
Marlene Dietrich ddp

Halle/MZ. - "Gelesen. Den Fernseher angeschrien. Telefoniert", sagt Maria Riva, die Tochter. Auch getrunken, wie man weiß, sich mit Tabletten betäubt. Doch wenn die weltmüde Diva trotz oder wegen all der gefährlichen Helfer um den Schlaf gebracht war, hat sie, Papier und Stift immer griffbereit wie das Glas und die Pillenschachteln, Gedanken und Erinnerungen notiert. An die Menschen aus ihrem Leben, die jetzt nur noch auf Fotografien um sie waren.

Notate sind es denn auch, die der Rilke- und Heine-Liebhaberin da nächtens zufielen. Rein formal allerdings erscheinen die Niederschriften zu Versen hochstilisiert: Der Verlag hat die aus dem Englischen und Französischen übertragenen Texte exakt so setzen lassen, wie die Schlaflose sie aufgeschrieben hat. Das wirkt bemüht und zielt auf mehr Anspruch als die nächtlichen Reminiszenzen letztlich hergeben. Macht aber nichts: So, wie die Dietrich ihren längst verlorenen Weggefährten aus den Zeiten von Ruhm und Glamour beikommt, das hat Geist und Verve, ist zuweilen zärtlich, sehnsüchtig, auch schon mal schnoddrig, auf jeden Fall so scharf beobachtet wie durch das Objektiv der Kamera.

Nichts geblieben

Schauspieler, Schriftsteller, Tänzer, Musiker, Regisseure, auch Kostümdesigner und zwei Generale: Männern vor allem und nur einigen wenigen Frauen gelten die mal sehnsüchtigen, mal abrechnenden Gedanken. Der Blick zurück in Melancholie - mein Gott, wie gnadenlos einsam war diese Frau, die bis heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch so gegenwärtig erscheint: "Nichts ist geblieben / Nur das Bild der Zeit / Ein längst vergangenes / Leben, nutzlos und verloren."

Natürlich ist die Sammlung vor allem auch zum Who is Who ihrer Liebhaber geraten. Und die behandelt die verwöhnte, doch wenig an Liebe gewöhnte Göttin des unterkühlten Sex im Nachhinein keineswegs besser als zu Lebzeiten. Ohne Gnade, wenn der Andere Schwäche zeigte. Remarque etwa, der in sehnsuchtsvollen Briefen seinen "Puma" um nur ein bisschen Zuneigung, ein wenig Aufmerksamkeit jahrelang so innig wie vergeblich angebettelt hatte (nachzulesen in dem bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen Band "Sag' mir, dass du mich liebst..."). Dem bescheinigt sie, er sei anspruchslos, schüchtern, "leicht zu lieben" gewesen und trägt ihm heftig seine spätere Verbindung mit Paulette Goddard nach: "Wie soll man wissen / Wo der Verrat sitzt / Zwischen all den Lügen." Manchmal - sieh' da - war's sogar der exzessiven Egomanin fast so was wie peinlich, wenn sie sich gar zu arg aufgeführt hatte. Maximilian Schell etwa gibt sie erinnernd zu, dass sie bei Erstellung jenes legendären Filmporträts, bei dem lediglich ihre Stimme aus dem Off der Matratzengruft ertönt, "fast ein Miststück" gewesen sei und poetisiert als Grund "Ich werd gehetzt / Gedrängt / Und strapaziert / Bis ich / Rasend werd".

Es gab jedoch auch diesen und jenen Mann, dem jegliches Göttinnengehabe die Machohaut keineswegs so tief ritzte, wie es die Schöne gerne gehabt hätte. "Dein / Winken / Zum / Abschied / Schnitt mich / Entzwei" schluchzt sie Yul Brynner hinterher.

Bei aller Melancholie hatte die Dietrich den Berliner Schnodderhumor auch noch in ihrem Dämmerraum aus Kissen, Whisky und Tabletten durchaus höchst lebendig parat. Wenn sie sich etwa in einer launigen Epistel über den "Academy Award", den legendären "Oscar", (den sie selbst nie bekommen hat) lustig macht. Auch beim Austeilen mischt Chuzpe mit. Kein Respekt und kein Pardon selbst für die hehrsten Ikonen. Charlie Chaplin etwa bescheinigt Marlene prosaisch in Prosa: "Im richtigen Leben war er überhaupt nicht komisch. Seine mangelnde Bildung machte den Kontakt meist schwierig. Wenn nicht unmöglich."

So hat die Dietrich gedacht und gedichtet in den langen Nächten ihres Matratzen-Exils. Beim Lesen schaut man unwillkürlich hinter das oft beschworene Rätsel ihres konsequenten Rückzugs. War es tatsächlich nur Eitelkeit? Feigheit vor dem Verfall? Angst vor dem peinlich berührten Wegsehen der anderen? Womöglich ist die Antwort ganz simpel.

Einfach genug

Irgendwann reichte eben die angedrillte Preußendisziplin, auf die sie so stolz war ("Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin"), einfach nicht mehr für die Anstrengung, die makellose Divenfassade der noch immer erwartungsvollen Welt zu zeigen. Die inzwischen selbst 81-jährige Tochter Maria Riva, die die "Nachtgedanken" in Berlin vorstellte, erklärt denn auch: "Sie hat es getan, weil sie wirklich genug hatte". Mutter Marlene formuliert denn doch poetischer: "Würdest / Du mich / Bitte / Schlafen lassen? / Ich führe das /Traurigste Leben / Ohne dich / Darum lass mich / Bitte / Wenigstens / Schlafen."