Nachruf auf österreichischen Schauspieler und Autorenfilmer Nachruf auf österreichischen Schauspieler und Autorenfilmer: Trauer um Peter Kern
Eines zumindest habe er erreicht, in seinem Leben, sagte Peter Kern in einem Gespräch noch von Anfang diesen Jahres: „Meine persönliche Freiheit. Ich habe nichts mehr zu verbergen.“
Hatte er eigentlich nie. Mit seiner Leibesfülle, die er zu einem seiner Lebensthemen machte, konnte er sich nur schwer verstecken. Erschreckte schon die jüngsten Fernsehzuschauer in der ARD-Kindersendung „Das feuerrote Spielmobil“ als „der dicke Herr Kern“. Weil er eben kein gemütlicher Klischee-Dicker war, sondern ein unsicherer, fieser, gekränkter und dann wieder total lieber Mensch. Sein Fett sei aus Liebe zusammengesetzt, klagte er, auch aus enttäuschter.
Im Schatten des Wiener Praters als Arbeiterkind aufgewachsen, schlug Kern schon als Wiener Sängerknabe den Weg ein, von dem ihn auch eine Kaufmannslehre nicht abhalten konnte. Er nahm privat Schauspielunterricht, tourte lockenumkränzt mit dem Musical „Hair“ durch die deutschsprachigen Länder und wurde schließlich für den neuen deutschen Film entdeckt.
Fettfleck auf Spitzendecke
Kurz gehörte er zum verschworenen Kreis um Rainer Werner Fassbinder, ist unter anderem in „Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel“ und „Bolwieser“ zu sehen, aber die Cliquenbildung lag ihm ganz und gar nicht. Er lieh Leib und Seele ebenso Wim Wenders, Hans W. Geißendörfer, Peter Zadeck, Helmut Dietl, Werner Schröter und Walter Bockmeyer aus. Für seine Rolle in dessen „Flammende Herzen“ gewann er seinen zweiten Bundesfilmpreis. Man kann sich diese fruchtbarsten Jahren der deutschen Kino-Avantgarde kaum ohne ihn vorstellen, noch in deren höchststilisierten Werken, etwa in Syberbergs „Hitler – Ein Film aus Deutschland“, war Kern das offen pulsierende Herz. Oder, grob gesagt, der Fettfleck auf der weißen Spitzendecke.
Kern selbst gab sich als Regisseur grob gestrickter: Sexploitation, unterfinanzierte Vulgarität und hemmungsloser Kitsch gehörten zu seiner Filmkunst zwingend dazu. Der Kitsch als Königsweg aus der Marginalisierung, denn den Ausgegrenzten – Strichern, Proleten, Kranke, Neonazis – gehörten sein Herz. Als schwergewichtiger Schwuler fühlte er sich ihnen zugehörig.
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Männerbrüste in Leinwandgröße
In „Ein fetter Film“ von 1992 präsentiert er seine Männerbrüste in Leinwandgröße und lässt sie Sprechrollen übernehmen. Später trat Kern in Filmen von Rosa von Praunheim und Christoph Schlingensief auf, ließ sich von Ulrich Seidl porträtieren und tanzte mit dem ähnlich gebauten Talkshow-Moderator Hermes Phettberg vor Fernsehkameras einen schwankenden Walzer, der in zärtlichen Küssen endete.
Gemeinsam mit Schlingensief gelang ihm auch sein süffigster Skandal: Der Oberhausener hatte für eine „Hamlet“-Inszenierung (angeblich geläuterte) Neonazis aus Düsseldorf engagiert. Kern, der zeitweilig am Rhein wohnte, hatte den Kontakt hergestellt und einen Dokumentarfilm über die Probenarbeiten gedreht.
Hatten sich die beiden schrecklichen Theaterkinder nur benutzen lassen? Oder wollte die feine Gesellschaft lieber wegsehen? Später gab es noch ein Nachspiel. als die Freien Wähler (von einem der schauspielenden Ex-Nazis mitgegründet) Peter Kern für den Düsseldorfer Heine-Preis nominierten, die CDU-Mehrheit dagegen Sturm lief und Elfriede Jelinek dem umstrittenen Fast-Preisträger mit einem offenen Brief zur Seite sprang.
Beinahe Köln
Beinahe wäre Köln zu Kerns letzter künstlerischer Station geworden. Als der neue Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann 2013 sein Ensemble vorstellte, präsentierte er Peter Kern als Überraschungsgast. Die beiden hatten bereits in der Vergangenheit miteinander gearbeitet, und als sie einmal gemeinsam als Gast-Regisseur, beziehungsweise -Schauspieler an der Berliner Volksbühne scheiterten, schrieb Kern einen schön gemeinen Enthüllungsartikel über die Zustände an Frank Castorfs Bühne. Denn das gekränkte, öffentliche Nachbeißen war auch so eine Spezialität des Wieners.
Aus dem Kölner Engagement sollte nicht werden: Kern erkrankte, musste ein Jahr lang im Spital verbringen, magerte um 80 Kilo ab – und starb schließlich vergangenen Mittwochmorgen in einem Wiener Krankenhaus, im Alter von gerade mal 66 Jahren.
So konnte man ihn in Köln zum letzten Mal vor vielen Jahren in einer Karin-Beier-Inszenierung von Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ erleben (eben jenem Stück übrigens, mit dem Bachmann nun die nächste Schauspielsaison eröffnet). Wie gern hätte man sich von Peter Kern noch ein paar offenherzige, anrührende, hundsföttische Geschichten erzählen lassen!