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Nach der Pop-Zukunft: N*E*R*D

24.06.2008, 05:54

Hamburg/dpa. - Eigentlich hätte man ja kaum noch damit gerechnet, aber jetzt ist es doch passiert: N*E*R*D haben ein neues Album gemacht. Das trägt den Titel «Seeing Sounds», setzt auf die bewährte Kombination von Dance, Pophooks, Rock, funky Rhythmus und einer Handvoll kredibler Gastkünstler.

Die drei Musiker sprengen auch auf dem neuen Album wieder die eine oder andere Grenze üblicher Hörgewohnheiten, die ganz großen Sensationen bleiben auf «Seeing Sounds» allerdings aus.

Passend zur Jahrtausendwende, als die Zukunft an sich gerade zum großen und viel beackerten Thema avancierte, feierte man Pharell Williams und alles, was er anfasste, gerne und ausgiebig als die Zukunft des Pop. Das galt in besonderem Maße für Pharell Williams' Produktionsarbeit mit seinem Projekt Neptunes, aber auch N*E*R*D profitierte von dem Generalverdacht, Pharell Williams sei so eine Art Messias eines brandneuen Sounds.

Nachdem das Projekt N*E*R*D vier Jahre auf Eis lag und Pharell Williams 2005 sogar das Ende der Band verkündete, kehren er, sein Neptunes-Partner Chad Hugo und Sänger Shae doch wieder zurück. Natürlich geht es dem US-amerikanischen Trio auch auf dem dritten Album darum, sich in keine Schublade einsortieren zu lassen, jegliche Genregrenzen zu ignorieren, so viele Ideen wie möglich in den Tracks unterzubringen und mit diesem wilden Mix trotzdem beim Mainstream-Publikum einzuschlagen wie eine Bombe.

Dass Pharell Williams und Hugo Chad sowohl wissen, wie man die Grenzen des Gängigen überschreitet, als auch, wie man einen hypermodernen Sound zusammenbastelt, haben sie als Neptunes hinlänglich bewiesen. Mit N*E*R*D wollten die zwei Pop-Visionäre ursprünglich Abstand nehmen vom stark polierten und technisch extrem ausgeklügelten Sound. Für eine bodenständigere und rauere Note sorgten auf dem ersten Album eine Live-Band und auf dem zweiten Album Pharell Williams als Multiinstrumentalist.

Auf «Seeing Sounds» kombinieren N*E*R*D den rockigen Live-Band-Sound mit aufwändiger Produktion. Am Klang-Finish des neuen Albums ist ganz und gar nichts auszusetzen: «Seeing Sounds» klingt mächtig und massiv und hat die Dynamik, der eigentlich erst das große Soundsystem im Club richtig gerecht wird. Während die Platte auf der Produktionsseite deutlich in Richtung Zukunft abhebt, hinterlässt das Songwriting auf Albumlänge aber doch ein leicht ambivalentes Gefühl: Hitverdächtiges ist vorhanden, aber nicht in der Menge, in der man es von N*E*R*D zu erwarten bereit war.

Mit «Everyone Nose (All The Girls Standing In The Line For The Bathroom)» legen N*E*R*D gleich zu Beginn des neuen Albums den unvermeidlichen Dance-Kracher vor. Hier finden sich die richtigen Zutaten: Klasse hysterische Beats, eingängige Hooks und Lyrics, die explizit genug sind, um Eltern nervös zu machen. Leider halten N*E*R*D im Laufe des Albums dieses Niveau nicht durch. Das liegt nicht unbedingt daran, dass ihnen die Ideen ausgehen, sondern eher daran, dass die Vielzahl von Eingebungen und Richtungswechseln kaum Zeit lässt, um sich auf die Tracks einzulassen.

N*E*R*D scheinen auf ihrem neuen Album die Qualität im Songwriting zugunsten der Quantität ihrer Ideen und ihrem Markenzeichen Vielfalt gelegentlich aus den Augen verloren zu haben. Die Melodien, die das Trio ihren Hörern um die Ohren haut, glänzen nicht eben vor Innovation und verirren sich in den Uptempo-Tracks zwischen den zahlreichen Nebenschauplätzen, die N*E*R*D eröffnen. Auch die schlüssige Verbindung zwischen der Rock-Attitüde, die N*E*R*D einst antrieb, State-of-the-Art-Beats, analoger Instrumentierung und Sampling klingt nicht immer ganz astrein.

N*E*R*D haben spätestens mit ihrem letzten Album dem Crossover zwischen Dancefloor und Rock das Böse ausgetrieben, was im Zuge von Nu Rock Ende der 90er Jahre in voller Blüte stand. Vier Jahre nach der endgültigen Ausführung dieser noblen Geste sieht es so aus, als wäre die Zukunft des Pop schon wieder Vergangenheit. Für eine Handvoll Hits hat es auf «Seeing Sounds» auf jeden Fall gereicht. Solide kann man das durchaus nennen - und unterhaltsamer als der Rest des Mainstreams sind N*E*R*D auch 2008 noch immer allemal.

www.n-e-r-d.de