MZ-Interview mit Murat Kurnaz MZ-Interview mit Murat Kurnaz: "Die Kraft konnte mir nur Gott geben"

halle/MZ - 1 725 Tage ist Murat Kurnaz zunächst im afghanischen Kandahar, später im US-Internierungslager Guantanamo auf Kuba in Gefangenschaft gewesen. Im Herbst 2001, wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September, war der Deutsch-Türke nach Pakistan gereist, wo er eine Koranschule besuchen wollte. Auf dem Rückweg zum Flughafen wurde er von der pakistanischen Polizei verhaftet und an den amerikanischen Geheimdienst verkauft. Stefan Schallers Film „5 Jahre Leben“ erzählt aus der Perspektive des Gefangenen. Mit Murat Kurnaz sprach Martin Schwickert.
Herr Kurnaz, wie stark waren Sie an der Entwicklung des Films beteiligt?
Kurnaz: Ich habe mich mehrmals mit dem Regisseur Stefan Schaller getroffen. Er hatte mein Buch gelesen und auch einige TV-Dokumentationen gesehen. Aber darüber hinaus habe ich den Filmemachern bewusst freie Hand gelassen. Ich wollte nichts beeinflussen und war auch deshalb nicht bei den Dreharbeiten dabei. Natürlich hätte ich viele Sachen anders gemacht, aber ich bin kein Regisseur und meinen Film würde wahrscheinlich niemand sehen wollen. Aber es gefällt mir, wie Stefan Schaller das gelöst hat. Es ist sein Film über mich und ich bin damit zufrieden.
Mit welchem Gefühl haben Sie den Film zum ersten Mal angeschaut?
Kurnaz: Man ist natürlich gespannt darauf, wie die eigene Person und die eigenen Erlebnisse auf der Leinwand dargestellt werden. Aber mir ist klar, dass dies ein Spielfilm ist, wo Einiges nicht genau so gezeigt wird, wie es war.
Der Film nimmt zum Beispiel die Folterszenen, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, gezielt zurück.
Kurnaz: Die Faustschläge und Tritte, die gezeigt werden, würde in Guantanamo niemand als Folter bezeichnen. Wenn man dort über Folter spricht, dann meint man Elektroschocks, Waterboarding und solche Sachen. Das wird im Film nicht gezeigt. Da habe ich auch erst einmal geschluckt und gedacht: „Was ist hier los, warum wird hier alles verharmlost?“ Aber je mehr ich über den Film rede, merke ich, dass die Gewaltszenen für die Zuschauer schon nah an der Grenze des Erträglichen sind.
Wenn man Ihr Buch liest und sich diesen Film anschaut, fragt man sich unwillkürlich: Wie konnten Sie diese Tortur überhaupt aushalten?
Kurnaz: Die Kraft kam nicht aus mir selbst. Ich habe zu Gott gebetet und ich bin Gott sehr dankbar, dass er mir diese Kraft gegeben hat. Ich selbst habe versucht mich körperlich fit zu halten. Habe trainiert, so gut es ging. Ich habe ja seit meinem achten Lebensjahr Kampfsport betrieben. Aber die psychische Kraft, das zu überstehen, konnte mir nur Gott geben. In so einer Situation ist man verloren, wenn man keinen Halt hat, der Glaube spielt eine wichtige Rolle.
Haben Sie, nachdem die deutsche Regierung Sie derart im Stich gelassen hatte, überlegt, sich in einem anderen Land niederzulassen?
Kurnaz: Ich bin Bremer. Ich bin dort aufgewachsen. Meine ganze Familie lebt in Deutschland. Wo hätte ich hingehen sollen? Ich kenne die Türkei, wie viele Deutsche auch, nur aus dem Urlaub. Für mich kam kein anderes Land in Frage.
Sind Sie durch die Erfahrungen in Guantanamo misstrauischer gegenüber den Menschen geworden?
Kurnaz: Auf jeden Fall gegenüber den Politikern. Ich habe am eigenen Leib erfahren müssen, dass Politiker zwei Gesichter haben und dass das, was sie öffentlich vertreten, oft etwas ganz anderes ist, als das, was sie im Geheimen tun. Aber das heißt nicht, dass ich das Vertrauen in die Menschheit verloren habe. Es gab ja auch Wärter in Guantanamo, die sich geweigert haben. Die wurden gefeuert und durften nur noch außerhalb des Camps Müll aufsammeln.
Weitere Informationen: Der Film „5 Jahre Leben“ startet unter anderem in PuschKino Halle, Kardinal-Albrecht-Straße 6.