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MZ-Interview MZ-Interview: «Ich kann nicht still sein»

11.08.2010, 16:32
Peter Sodan bei einer Lesung. (ARCHIVFOTO: WÖLK)
Peter Sodan bei einer Lesung. (ARCHIVFOTO: WÖLK) CARDO

Halle (Saale)/MZ. - "Es soll den Blick schärfen für Leute, die uns verarschen..." - mit diesen drastischen Worten beginnt das Buch "Schlitzohren und Halunken". Über 30 Autoren haben sich darin kritisch zu Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport geäußert. Das eingangs zitierte Vorwort schrieb Peter Sodann. Am 19. August um 20 Uhr präsentiert er den "Almanach der Missetaten" im Steintor Halle. Sylvia Pommert hat mit Peter Sodann gesprochen.

Wie kam es zum "Almanach der Missetaten"?

Sodann: Das wollte ich eigentlich im Steintor erzählen. Denn dann beantworte ich auch die Frage: Wie wird man kein Bundespräsident. Oder besser: Wie wird man Bundespräsident - nicht.

Auf den ersten Blick sehe ich jetzt keinen Zusammenhang.

Sodann: Der kommt noch. Denn diese ganze Geschichte hat eine Vorgeschichte. Man erlebt ja die merkwürdigsten Dinge. Eines Tages saß Herr Gysi im nt-Café und fragte mich, ob ich Bundespräsident werden wolle. Und ich sagte: "Weißt du, verarschen kann ich mich allein."

Aber in meinem Leben gab es immer zwei Grundregeln, die mein Handeln bestimmten. Die eine war: "Was du nicht selber tust, das tut für dich kein anderer." Der Spruch stimmt nur bedingt, weil man ohne andere Menschen ja nicht existieren kann. Und die andere Regel, die für mich wichtiger ist, lautet: "Das hast du noch nicht gemacht." Und weiter: "Wenn du es noch nicht gemacht hast, dann kannst du es ja mal probieren." Also sagte ich, darüber nachdenkend: "Bundespräsident? Warum eigentlich nicht - hast du ja noch nicht gemacht."

Sie machen es sehr spannend.

Sodann: Jetzt kommt es. Während der Kandidatenzeit für das Bundespräsidentenamt fragte ich mich immer: "Was kannst du am Ende daraus ziehen? Willst du ein Buch darüber schreiben, oder machst du was anderes?" Aber ich bin ja kein großer Literat in dem Sinne, dass ich alles, was in mir ist, niederschreiben und anderen mitteilen muss. Also fiel die erste Überlegung durch.

Und dann kam mir eine andere Idee. In der DDR gab es ein Kinderlexikon. Das hieß "Von Anton bis Zylinder". Und in Frankreich gab es eine Enzyklopädie, geschrieben etwa von Rousseau und Diderot. Es waren rund 150 Menschen beteiligt. Und ich sagte, wie wäre es, wenn heute eine ähnliche Enzyklopädie entstehen würde - über Menschen, die andere ausnutzen. Solche gibt es viele. Und auf einmal sind sie Millionäre. Ich fragte etliche Autoren, ob sie mitarbeiten. Es sollte nichts Kurzlebiges sein. So entstand der "Almanach der Missetaten". Ich habe das Vorwort geschrieben, nicht mehr. Aber die Idee hatte ich zumindest.

Und das Steintor-Publikum bekommt diese Geschichten zu hören?

Sodann: Zum Teil. Sie sind sehr anspruchsvoll. Deshalb werde ich an diesem Abend auch nicht allzu viel vorlesen, sondern vor allem die Hintergründe dazu erzählen.

Werden Sie Gäste haben?

Sodann: Das ist derzeit noch in der Absprache. Beteiligt am Almanach sind ja auch einige hallesche Autoren: Kurt Wünsch zum Beispiel, oder Christina Seidel und Erhard Preuk. Trocken wird der Abend jedenfalls nicht. Das Buch enthält zum Beispiel einige Aphorismen, die wir zum Besten geben können. Etwa der: "Ein dickes Lob dem Politiker, der nichts zu sagen hat und trotzdem schweigt."

Das Buch ist Ihr jüngstes Produkt. Doch Ihr Name steht für viele andere Ereignisse. Was war für Sie selbst das einschneidendste?

Sodann: Da muss ich früh beginnen. Denn eigentlich war es der Tod meines Vaters - als der im Krieg fiel. Und die Nachricht, die ich im Beisein meiner Mutter vom Pfarrer am Gartentor empfangen habe. Das hat mich damals stark geprägt. Aber dann wird man mit neuen Gedanken und Ideen konfrontiert. Es musste ja weitergehen. Dennoch war ich noch ein Kind. Mein Lieblingsbuch war "Steppke zieht in die Welt". Das habe ich sicher 50 Mal gelesen. Beide Dinge - die Todesnachricht und das Buch - hatten eine bleibende Wirkung: Ich wollte fortan immer die Welt verbessern. Es ging nicht anders. Es war eben so.

Und fortan sind Sie auch immer wieder angeeckt.

Sodann: Naja, wenn Sie das so sehen. Ich lernte Werkzeugmacher, studierte Jura, wechselte zum Schauspiel, flog immer wieder raus, fasste immer wieder Fuß. Für die Rolle von John Scheer in dem Film "Ernst Thälmann" bekam ich den Nationalpreis. Alle, die halbwegs gut waren in dem Streifen, bekamen den. Viele haben ihn nach der Wende zurückgegeben, um zu demonstrieren, dass sie mit dem System gebrochen haben. Nur das Geld, das dranhing, das gaben sie nicht zurück. Das finde ich verlogen. Da kann ich nicht still sein.

Was treibt Sie um?

Sodann: Mich treibt vieles um. Nehmen sie als Beispiel nur mal die neuen Kreuzworträtsel. Da wird nach einem "Hirngespinst" gefragt. Und eintragen muss man "Utopie". Das darf doch nicht wahr sein. Ohne Visionen und Utopien funktioniert das Leben nicht.

Aber müssen Sie sich immer und überall einmischen? Finden Sie niemals Ruhe?

Sodann: Doch, die finde ich. Aber ich mische mich auch überall ein, das ist richtig. Bei einem Satiriker fand ich diese Anregung: "Freiheit ist, sich auch bei all dem einzumischen, was einen eigentlich nichts angeht." Tatsächlich geht einen aber alles etwas an. Naja, und wenn sie das tun... dann kann es passieren, dass man für andere fast unmerklich beiseite geschoben wird. Meine Mutter hat immer gesagt: "Lass dich von deinem gesunden Menschenverstand leiten." Also hinterfrage ich trotzdem: die Ereignisse in Afghanistan, die Nutzung von Atomenergie. Man wird über dieses Land und über viele Dinge neu nachdenken müssen.

Ist es Ihnen wichtig, beliebt zu sein, geliebt zu werden?

Sodann: Beliebt zu sein? Das ist mir nicht so wichtig. Aber geliebt zu werden, ja. Das halte ich für das Wichtigste auf der Welt. Goethe sagt es in "Willkommen und Abschied" ganz wunderbar: "Welch ein Glück, geliebt zu werden. Und lieben, Götter, welch ein Glück!" Übrigens habe ich festgestellt, dass ich in Lübeck genauso beliebt bin wie in Halle.

Ich hätte vermutet, dass man Sie in Halle besonders mag.

Sodann: Nee, das ist doch wieder das Phänomen mit den Museen. In der eigenen Stadt gehen die Leute nicht rein. Aber auf Mallorca rammeln sie in alles, was sich bietet. Und deshalb ist der eigene König - das ist jetzt überheblich meinerseits - der, von dem man sagt: "Na, den hammer ja sowieso." Und in anderen Städten, schon Dresden oder Leipzig oder - das ist ja irre, auch in der Schweiz - da ist man bekannt. Und wenn ich so was erlebe, dann sage ich mir: "Mensch, du müsstest doch eigentlich der beliebteste Schauspieler der Welt sein." Doch man hat mich in den Ruhestand geschickt. Ruhestand! Ruhestand ist, wenn mein Herz stillsteht.

Sieht man Sie demnächst wieder in Film und Fernsehen?

Sodann: Im Moment werden die Tatort-Folgen mit Kommissar Ehrlicher wiederholt. Ich bin präsent, obwohl ich nicht drehe. In der Kika-Reihe "Schloss Einstein" spiele ich ab und zu. Das füllt mich nicht aus. Ich fahre viel durch die Gegend, werde zu Diskussionen eingeladen. Einen neuen Film gibt es also nicht. Aber ich habe noch zu tun.

Was wäre Ihr größter Wunsch?

Sodann: Da hätte ich schon noch einige. Vor allem aber hätte ich gern ein Schloss (und Geld für den Erhalt) - damit endlich genug Platz ist für die rund 500 000, zwischen 1949 und 1989 in der DDR erschienenen Bücher, die ich inzwischen gesammelt habe.