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MZ im Gespräch mit Tanja Dückers MZ im Gespräch mit Tanja Dückers: Sehen, suchen, schreiben

11.06.2003, 13:31

Berlin/MZ. - "Himmelskörper" heißt der aktuelle Roman von Tanja Dückers, indem eine junge Wolkenforscherin einem Familiengeheimnis nachspürt, das zurück ins Jahr 1945 führt, hin nach Gotenhafen, wo das Flüchtlingsschiff "Wilhelm Gustloff" in den Untergang startete. Mit Tanja Dückers, die am Donnerstag in Halle die MZ-Sommerlesereihe eröffnet, sprach unser Redakteur Christian Eger.

Frau Dückers, was zieht Ihre West-Generation neuerdings vermehrt in die Untiefen des Dritten Reiches und seiner Folgen?

Dückers: Wie bitte? Das ist doch kein West- oder Ost-Phänomen! Es gibt auch nicht "den Westen". Ich bin zum Beispiel in Westberlin aufgewachsen, erzogen von 68er-Eltern, rundum politisiert. Die Mauer war allgegenwärtig, die Spuren des Krieges. Es wurde "meiner" Generation" vorgeworfen, apolitisch zu sein, das stimmt nicht: Vor lauter Giganten (Walser, Grass etc.), die auf die deutsche Geschichte abonniert sind, hat man oft übersehen, dass auch "wir" - vielleicht ohne große Worte wie "Deutschtum" und "Tragödie" zu verwenden - "unsere" Sichtweise und Spurensuche literarisch formuliert haben.

Warum aber jetzt? Warum legen Sie jetzt einen Roman vor, in dem der Untergang der "Gustloff" im Januar 1945 mit verhandelt wird?

Dückers: Mein Onkel und meine Tante wären um ein Haar auf der "Gustloff" mitgefahren. Das habe ich erst vor drei Jahren erfahren. Dieser Stoff wurde Grundlage meines Romanes. So ist es eben immer noch oft: Lügen und Schweigen können lange anhalten. Ich habe es erst als Erwachsene geschafft, gewisse unbequeme Fragen auch beantwortet zu bekommen.

Hat Ihnen das Jahr 1989 neue Sichten auf das Gestern eröffnet?

Dückers: Unbedingt. Da ist meine Erfahrung der Wende, da sind zahlreiche Auslandsreisen, die ich seitdem gemacht habe. Ich habe zum Beispiel in Los Angeles in der Villa des Exilanten Lion Feuchtwanger gelebt, ich war in Sao Paolo, wo sich alte Nazis treffen und in Hiroshima. Überall bin ich auf Spuren der NS-Geschichte gestoßen.

Was konnten Sie erfahren?

Dückers: Zwei Dinge. Dass der Faschismus nicht, wie mir in der Schule erklärt wurde, von 1933 bis 1945 wie ein Gespenst in Europa umging, sondern dass es Kontinuitäten gibt, die in die Jahre davor und danach führen. Und ich denke seitdem verstärkt darüber nach, woher der Neonazismus in den 90ern seine Attraktivität bezog.

Mit welchem Resultat?

Dückers: Dass Demokratie ein extrem schwieriger Prozess ist, der einen aufgeklärten und reifen Menschen fordert - und das ist etwas, das man sich hart erarbeiten muss. Die Diktatur funktioniert ja sehr einfach, ja vielleicht infantil.

Der Journalist Christoph Amend, Jahrgang 1974, setzt dieser Tage die Kriegserfahrung der Großeltern-Generation mit der sozialen Krisenerfahrung seiner West-Generation in den 90ern ins Verhältnis. Was halten Sie davon?

Dückers: Interessant, aber vereinfachend. Ich glaube, dass Amend jedoch auch Zeugnis davon ablegt, wie sehr "diese Generation" das Bedürfnis hat, noch einmal mit den Zeitzeugen zu sprechen, bevor es zu spät ist. Das Abheben auf die soziale Krise in den 90ern ist allerdings eine Kopfgeburt. Ich persönlich brauche nicht erst an Arbeitslosigkeit etc. zu denken oder ihr zum Opfer zu fallen, um mich für die NS-Zeit zu interessieren.

Steckt dahinter, dass man sich ein eigenes Schicksal stiften will?

Dückers: Nein, das würde ja behaupten, dass die ganze Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nur eine Modewelle wäre. Es geht nicht darum, sich eine Identität zu basteln oder eine irgendwie interessante Biografie. Aber ich möchte über all diese Dinge auch nur als Tanja Dückers sprechen, nicht als Redner irgendeiner Generation.

Erleben Sie ein neues Gespräch zwischen den Generationen?

Dückers: Die 68er hatten ein sehr emotionalisiertes Verhältnis zu ihren Eltern und stellten sich sehr direkt gegen die Tätergeneration. Das können wir so nicht mehr machen. Ich sehe die Vergangenheits-Recherche als eine Spurensuche. Man begegnet einander neu: mit kühlem Blick, weniger lärmend, in der Sache aber ohne Konzilianz.

In Westberlin 1968 geboren, studierte Tanja Dückers Germanistik und Nordamerikanistik. 1999 veröffentlichte sie den Roman "Spielzone", 2001 "Café Brazil", zuletzt "Himmelskörper" - alle Bücher sind im Aufbau-Verlag erschienen. Tanja Dückers liest am Donnerstag um 19.30 Uhr im halleschen Studentenclub "Turm" - bei Sonnenschein Open Air im Moritzburggraben. Der Eintritt ist frei.