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MZ im Gespräch mit Claudia Rusch MZ im Gespräch mit Claudia Rusch: «Jeder hat ja ein Recht auf private Erinnerung»

23.06.2004, 16:01

Berlin/MZ. - Frau Rusch, was ist Ostalgie?

Rusch: Kati Witt im Blauhemd, der Film "Good Bye, Lenin!" nicht. Jeder hat ja ein Recht auf private Erinnerung, wir alle haben auch ein ganz normales Leben geführt. Ostalgisch ist aber, wenn die Seite der menschenfeindlichen Diktatur, die es auch gegeben hat, ausgeblendet wird. Niemand darf so tun, als wäre alles prima gewesen, nur weil er selbst angeblich nicht in Konflikt mit diesem Staat geraten ist. Wir alle sind in Konflikte gekommen; wer etwas anderes behauptet, lügt.

Was war der Auslöser Ihres Erinnerungsbuches?

Rusch: Ich hatte zuletzt als Leitende Redakteurin beim MDR-Fernsehen gearbeitet und gekündigt, bevor ich 30 geworden bin. Ich wusste, obwohl ich nie zuvor etwas geschrieben hatte, dass ich schreiben will. Und ich wusste, entweder mache ich das jetzt oder nie.

Warum die eigene Geschichte?

Rusch: Das waren erste Schreibproben, reine Faulheit wegen der "schon vorhandenen" Handlung. Ich hatte gar nicht vor, die zu veröffentlichen.

Kein Echo auf die Ostalgie-Welle?

Rusch: Nein, Bücher haben wie Filme eine langen Vorlauf. Als Wolfgang Hilbig - der mein Manuskript zufällig in die Hände bekommen hatte - mich anrief und sagte: Das musst du veröffentlichen!, sagte ich: Wieso? Wer interessiert sich denn für diese Ost-Geschichten? Da sagte er: Erstens, sind das keine Ost-Geschichten. Zweitens entscheidest nicht du, wer sich dafür interessiert, sondern ein Verlag.

Sie sagen, die DDR sei eines Ihrer Lebensthemen.

Rusch: Ja, aber eben nur eines von vielen. Ich werde ein Leben lang über die Dinge schreiben, die ich aus dem Osten mitgenommen habe, aber das wird nicht immer den Namen DDR tragen. Die Situation, in der ich aufgewachsen bin, hat mich geprägt: das permanente Geheimnis, die Gefahr, das Wissen, das die Dinge zwei Seiten haben. Es gibt nicht nur eine Wahrheit.

Ihr nächstes Buch?

Rusch: Das ist die Geschichte meines Großvaters, den ich nie kennen gelernt habe, weil er 1967 im Stasi-Knast in Rostock starb. Er war vorher Landrat, Kreisratsvorsitzender hieß das damals. Dass dieses Buch noch einmal das Thema DDR haben wird, nervt mich selbst inzwischen ein bisschen. Aber mein erstes belletristisches Buch wird jedenfalls sowas von nicht in der DDR spielen, das glauben Sie gar nicht! Allenfalls an der heutzutage gesamtdeutschen Ostsee...

Gibt es irgendeine Frage, die Sie für sich selbst im Rückblick auf die DDR noch klären wollen?

Rusch: Nein. Ich habe ein Jahr lang in Stasi-Archiven gesessen, ich habe 18 Jahre lang in diesem Land gelebt, und das auch mit überwiegend frohen und hellen Momenten. Die Recherche zum Schicksal meines Großvaters war meine eigentliche Auseinandersetzung mit der DDR. Was ich da erfahren habe, hat mir alle Fragen beantwortet. Ich habe heute keine Fragen mehr.

Haben Sie Antworten?

Rusch: Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, was die DDR auch war: eben nicht nur ein Land der Spitzel. Es gibt eine starke demokratische Tradition. Auch Parteisekretäre konnten aufrichtige Menschen sein. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass es nur Täter und Opfer gab. Ich sag immer, auch in einer Diktatur ist das Leben nicht schwarzweiß, sondern bunt.

Was wäre zu zeigen?

Rusch: Wir sollten als Ossis unsere demokratischen Traditionen annehmen, dann würde es uns auch leichter fallen, unsere Vergangenheitsflecken anzufassen. Ich habe erst neulich in einer Zeitung gelesen, dass ich unreflektiert über die DDR-Zeit sprechen würde, wenn ich sage, dass der Staat sich zu jedem Zeitpunkt ins Privatleben einmischen konnte. Natürlich konnte er das! Wenn ich so etwas lese, denke ich: He, Mausi, ich kann auch nichts dafür, wenn deine Pionierleiter-Karriere unterbrochen wurde. Das musst du jetzt aber nicht an mir und den Lesern der Zeitung auslassen.

In Stralsund 1971 geboren, wuchsClaudia Rusch auf Rügen auf, bis sie mit ihrerMutter, die zum Freundeskreis des DissidentenRobert Havemann gehörte, nach Brandenburgunds> später nach Berlin zog. Sie studierteGermanistik und Romanistik und lebt in Berlin.Claudia Rusch liest am Donnerstag um 19.30 Uhr imStudentenclub "Turm" am Friedemann-Bach-Platzin Halle als Gast der Lesereihe "Kind seinerZeit". Die Reihe wird gemeinsam veranstaltetvon der MZ, dem Germanistischen Institut inHalle, der Ebert-Stiftung und dem "Turm".Der Eintritt ist frei.