Musikfestival Musikfestival: Wer die Wahl hat hat den Luxus

HALLE/MZ. - Dieses Jahr beginnt das Melt! in der „Stadt aus Eisen“ in Gräfenhainichen schon am Donnerstag. Vor allem deutsche Nachwuchsbands sorgen für einen formidablen Festivalauftakt. „Das wird Kunst sein, mindestens in tausend Jahren“ prophezeit die Band Frittenbude in einer Mischung aus Ironie und Größenwahn.Moderner Elektro-Punk mit derben, treibenden Sounds und intelligenten Texten ist die Musik aus der deutschen Provinz (wo bitte schön liegt eigentlich Geisenhausen?) schon mindestens seit diesem Jahr.
So viele absolute Lieblingsbands verteilt auf vier Tage: The XX, Tocotronic, Die Sterne, Two Door Cinema Club, Shout Out Louds.Dazu ganz vieleKünstler, die man zwar im Alltag selten hört, aber unbedingt gern mal live sehen wollte: Foals, Goldfrapp, Herculas and Love Affair, Tiga, Delphic. Und dann noch die ganzen Geheimtipps wie Ja, Panik oder1000 Robota sowie Neuentdeckungen wie Kele, das fulminante Soloprojekt des Bloc Party-Frontmanns Kele Okereke. Nur die Freundin scheint davon wenig beeindruckt: „Abgesehen von Tocotronic kenne ich die alle nicht.“
Am Freitag spielen einfach zu viele gute Bands parallel. Es fällt schwer sich zu entscheiden. Doch wer die Qual der Wahl hat, der hat schließlich vor allem auch den Luxus. Das seit 1997 stattfindende Melt! ist vermutlich das vielfältigste Festival im deutschsprachigen Raum: Nirgends sonst sind derart viele Bands verschiedener Prägung und Ausrichtung zu erleben. Ganz gleich, ob der Festival-Besucher Rock- oder Folksounds oder doch eher minimalistisch-elektronische Klänge favorisiert. Wobei dieses Jahr letztere leicht in der Überzahl sind: Autokratz, Egotronic , Ellen Allien, Modeselktor, Moderat, Monika Kruse, Tiefschwarz – die Liste der hörenswerten elektronischen Sets scheint nahezu endlos. Absolute Höhepunkte bilden hier derDJ-Auftritt von Simian Mobile Disco und die Performancevon Pantha du Prince, dessen organischer und spährischer Sound einen wohltuenden Kontrapunkt zu dem ganzen hämmernden Bums-Bums darstellt.
Doch irgendwann ist alle körperliche Energie verbraucht und die geistige Aufnahmekapazität überschritten. Der Muskelkater will nicht mehr schwinden, die Kopfschmerzen bleiben. Spätestens am Sonntagwird allesein bisschenviel:die Mückenstiche, der Sonnenbrand, die drohenden Regengüsse, die besoffenen Zeltnachbarn, die auch spät nachts keine Ruhe geben, die trampelnden Menschenmassen vor den Bühnen, die langen Schlangen vor den Campingduschen,der Sand in den Schuhen, die hohen Bierpreise, die hübschen Mädchen mitihren coolen Sonnenbrillen, die versifften Toiletten, die surrealistische Bagger-Kulisse und letztlichselbst die Musik und das ganze Party-Gehabe und Gerede darüber.
Das Musiker- und Performance-Kollektiv „Bonarpate“ weiß davon ein Lied zu singen: „Too much“ heißt ihr grandioser Tanz-Hit, mit dem sie im vergangenen Jahr zu Berühmtheit gelangten. Auch auf ihrem neuenAlbum„My Horse Likes You“ bleibt die Band um den Schweizer Chefstrategen Tobias Jundt ihrem Sound treu: ihre Musik ist ein ewig neben dem Takt rumpelnder elektronischer Beat, die Texte bestehen aus größenwahnsinnigen Phrasen. Ihre entfesselte und verrückte Live-Performance erinnert viel mehr an eine Zirkus-Show, statt an ein Konzert: ein buntes Kaleidoskop aus Tönen, Tänzen, Farben, Kostümen und dressierten Tieren.
Doch gerade in diesem Zuviel liegt der Reiz des Melt!-Festivals begründet: es sind einfach zu viele hervorragende Bands zu erleben. Der Muskelkater ist immer noch nicht verschwunden, die Vorfreude auf nächstes Jahr schon wieder erwacht.