Musik für Traumwandler: The Blue Nile remastered
Berlin/dpa. - Der erste Song auf dem ersten Album von The Blue Nile hieß «A Walk Across The Rooftops», und dieser Titel fasste den Sound des schottischen Trios schon kongenial zusammen: Musik für Traumwandler über den Dächern einer stillen, regennassen Stadt.
Es war Popmusik der verrufenen 80er Jahre, aber eine von erhabener Ruhe, Tristesse und Schönheit.
The Blue Nile machten sich rar seit der Gründung vor 30 Jahren und dem besagten Debüt. Die Band veröffentlichte alle Jubeljahre eine tolle Platte - auf «A Walk Across The Rooftops» (1984) folgten «Hats» (1989), «Peace At Last» (1996) und «High» (2004).
Dieses Jahr wurde der De-facto-Split quasi durch die Hintertür bekannt, als Sänger Paul Buchanan zur Veröffentlichung seines Solo-Debüts «Mid Air» (mit ähnlich berührenden Klavierballaden) zugab, dass er seine Band-Kumpels Paul Joseph Moore und Robert Bell seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Eine stets rätselhafte, in ihrer Zurückgezogenheit einmalig konsequente Band also.
Der grandiose, jazz- und ambient-nahe Artpop von The Blue Nile - am ehesten vergleichbar mit den späten Talk Talk oder David Sylvians besten Werken - kann nun endlich in voller Pracht wiederentdeckt werden. Denn etwas überraschend (es gibt keinen Jubiläums-Anlass) sind die beiden ersten und immer noch besten Alben als Remaster in erweiterten Fassungen auf Virgin neu veröffentlicht worden.
Ein Fest für HighEnd-Fetischisten, denn die klanglich vorher schon fantastischen Soundgemälde von The Blue Nile sind hier noch einmal aufgefrischt worden und strahlen so hell wie nie zuvor (obwohl die Melodien fast durchweg in Moll gehalten sind). Ein Fest aber auch für langjährige Fans, denn auf den beiden Zusatz-CDs sind seltene Mixe der Originalsongs, Liveaufnahmen und auch gänzlich unveröffentlichte Lieder zu hören.
So fragt man sich bei «St. Catherine's Day», warum es diese wunderbare Ballade 1984 nicht auf die keineswegs überlange Debüt-LP geschafft hat. «Christmas» von der «Hats»-Zugabe wärmt das Herz ganz ohne klischeehafte Weihnachtsharmonien oder Jingle Bells - ein hauchzarter, tief bewegender Song, wie so viele von den drei Schotten. Und Buchanan singt so gut wie kaum ein anderer Sänger jener Zeit.
Liner Notes, die das Geheimnis dieser großen kleinen Band lüften könnten, gibt es zu beiden Doppelalben (insgesamt rund 140 Minuten Musik) nicht. «A Walk...» und «Hats» bleiben auch 2012, was sie schon vor 28 bzw. 23 Jahren waren: Bittersüße Zeugnisse einer (Synthie-)Pop-Ära, die viel Schrott und heute fast Unhörbares produzierte, aber auch den einen oder anderen zeitlosen Klassiker.