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Musik Musik: «Enkelinnen» der Stones starten durch

Von Sebastian Döring 28.11.2009, 12:04

London/dpa. - Und derNachwuchs schlägt eine ganz andere Musikrichtung ein: Mit Britsoulwill er englischen Sound auf Weltniveau zurückspielen. Amy Winehousehat es vorgemacht. Von ihr erwartet aber kaum jemand mehr neuenKlangstoff.

In der britischen Musikszene rumort es gewaltig. Nach dem Aus vonOasis mit den Gallagher-Brüdern kündigten die Kaiser Chiefs einekreative Pause an. Bereits zuvor nahmen die Britpop-Gurus von BlurAbstand von ihrem Comeback; mehr als die Konzerte im Sommer wird esnicht geben. Die Rock-Rentner dagegen ruhen sich auf ihren Lorbeerenaus - die Beatles leben dieser Tage mit digitalisierten Songs malwieder hoch. Auch der Abgesang der Girl- und Boygroups wie SpiceGirls und Take That ist längst durch; ihre Comebacks konnten nicht andie Erfolge des vergangenen Jahrzehnts anknüpfen. Dieses Klima istder Nährboden für die momentane Britsoul-Invasion.

Nicht in Manchester, nicht in Liverpool - in London spielt dieMusik. In einer nahezu männerfreien Zone treten immer mehr Girliesauf, seitdem klar ist, dass Drogen und Alkohol Britsoul-Queen AmyWinehouse den Weg zurück zum Erfolg vernebelt haben. Leona Lewis,Lily Allen, Kate Nash, Duffy, Adele, Estelle, Joss Stone, GabriellaCilmi - sie sind alle in etwa gleich jung. Cilmi, das 17-jährigeKüken unter ihnen, zog eigens für ihre Karriere von Australien nachLondon. «Das ist momentan der Nabel der Welt», sagte sie der dpa. DieSouldamen könnten, so rebellisch wie sie sind, die Enkelinnen derRolling Stones sein. Doch ihre Formel lautet: Sex, Drugs & Soul.

Die meisten der jungen Souldiven kamen in ruppigen Vierteln derbritischen Hauptstadt zur Welt. Ihre Texte sind oft direkt, bissigund zuweilen obszön. Lily Allen verarbeitet etwa in ihrem Lied «FuckYou» die Borniertheit der älteren Generation. Drastische Offenheitist auch abseits der Bühne angesagt. Allens Spiegelbild in den USA,Katy Perry, unterhielt sich mit Newcomerin Florence Welch - intim wiein Charlotte Roches Debütroman «Feuchtgebiete» - über Blasenschwächeauf der Bühne. «Natürlich kannst Du auf der Bühne pissen, wenn Duwillst, es ist doch deine Bühne», sagte die 23-jährige Welch.

Welch mit ihrer Band Florence + the Machine sowie das TrioNoisettes sind auf der Insel derzeit die angesagtesten Soul-Sprösslinge. Beide Gruppen schlugen erst mit Punk auf, entdecken nunaber die Liebe zum Gospel. Die Noisettes gelten als beste Liveband(«The Guardian»), Florence + the Machine waren Favorit für denbegehrten Mercury Prize für das beste britische Album. Der Preis gingaber an die Außenseiterin Speech Debelle, die mit Soulstimme den RapGefühl einhaucht. Einige dieser Mädels tummeln sich Ende Septemberund im Oktober in deutschen Konzertsälen.

«Es ist Zeit für coole, vielfältige Musik», sagte die quirligeNoisettes-Sängerin Shingai Shoniwa im dpa-Interview. «Wie unfair wardas denn bitteschön, immer dieselbe Leier, diese maschinellhergestellten Lieder vorgesetzt zu bekommen? Girls Aloud, Take That,Spice Girls - als Teenager hatten wir wirklich keine Auswahl.» Dieneue Generation könne auch ohne Strom auf der Bühne Musik machen.

Florence + the Machine setzen sich schon mal in den Hyde Park, umentlang des Princess Diana Memorial Walks Musik zu machen. «Als ichanfing, Musik zu machen, war meine Stimme das einzige Instrument, dasich spielen konnte», sagt Welch. «Ich liebe Annie Lennox und KateBush und diesen experimentellen elektronischen Klang, zum Beispielwenn ich meine Stimme durch verschiedene Mikros jage und mitVerzerrung Atmosphäre erzeuge», sagt sie und kippelt mit dem Stuhlund fuchtelt mit den Händen. «Ich muss immer tanzen oder hüpfen oderin Bewegung sein. Diese Freude ist ansteckend.»

Keine traut sich aber, Soul-Königin Amy zu kritisieren. Winehousehabe «überirdisches Talent», sagen sie übereinstimmend, als ob es soin der Bibel stünde. Doch Winehouse ist nicht das einzigemusikalische Vorbild für die Souldamen. Neben Kate Bush sorgt vorallem der Name Nina Simone für Begeisterung und Gänsehaut bei denjungen Londonerinnen.

Schon der Walise Tom Jones («It's Not Unusual») und die LondonerinDusty Springfield («Son of a Preacher Man») begannen in den 60erngegen die Allmacht der Stones und der Beatles den Soul zu etablieren.Mit Simply Red («The Right Thing») und Lisa Stansfield («This Is TheRight Time») schwappte in den 80ern eine zweite Welle von der Inselherüber. Auch die neue, dritte Soulgeneration ist in der Erfolgsspur.Adele war der Star der Grammys 2009, gewann goldene Grammophone alsbester neuer Künstler und beste weibliche Gesangsdarbietung Pop. DieTrophäen kamen bei ihr in die Glasvitrine vor der Toilette, verrietdie 21-Jährige im MySpace-Blog.