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Museumsneubau in Kassel  Museumsneubau in Kassel : Krass, diese Grimms

Von Andreas Montag 23.11.2015, 08:22
Einladung zu interaktiven Sprachspielen
Einladung zu interaktiven Sprachspielen Jan Bitter Lizenz

Kassel - Natürlich haben die Gestalter der neu eröffneten Grimmwelt an der Kasseler Weinbergstraße ein Problem gehabt - kein ästhetisches, denn das Bauwerk überzeugt durch Eleganz und Schönheit. Was aber sollte man drinnen zeigen? Und wie?

Die Brüder Grimm kennt jedermann, jedenfalls darf man das annehmen. Nur wie weit diese Annahme gehen kann, oder besser: wie tief, das ist hier die Frage. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt Kassel schon mit einigen sehr guten Museen wie dem für Sepulkralkultur gesegnet ist, in dem es um Sterben, Tod und den mannigfach verschiedenen Umgang mit diesen wichtigen, oft verdrängten Themen geht. Und die Weltkunstschau Documenta ist schließlich auch in Kassel zu Hause, das setzt Maßstäbe. Man will sich schließlich nicht blamieren.

Die Gefahr besteht mit einer Würdigung der Herren Grimm gewiss nicht, immerhin waren die Brüder Jacob und Wilhelm außerordentlich gebildete Menschen, die der Nachwelt eine ganze Menge guter Taten hinterlassen haben - zumal auch als Sprachforscher und nicht nur in Gestalt der Märchen, die wenigstens die Älteren unter uns notfalls noch aus dem Stegreif erzählen können.

Modernes Konzept für Gebrüder Grimm

Genau hier fängt es an, spannend zu werden: Man hat in Kassel keine plüschige Märchenpuppenstube basteln wollen, die wäre peinlich gewesen für die Stadt, das Publikum und nicht zuletzt für die Grimms selber, um deren Ansehen es hier schließlich geht. Also war klar: Ein modernes Konzept soll es werden, ein intelligentes Haus für intelligente Besucher. Und das ist es auch geworden. Wunderbar.

Aber, mögen sich Erziehungsberechtigte bang gefragt haben, taugt das Ganze denn auch für einen Besuch mit Kindern? Viele von ihnen haben auch im digitalen Zeitalter die Hexenwelt ja durchaus noch auf dem Schirm, wie die Grimms sie in den tiefen, schönen, aber auch gruseligen Wäldern Nordhessens erkannt haben werden.

Doch siehe, es funktioniert - mit Fantasie, die man Kindern ja noch zutrauen darf, mit Witz und vor allem ganz und gar ohne staubigen Mummenschanz. Der Selbstversuch eines Elternpaares mit einem fünfjährigen Knaben und dessen um ein Jahr jüngeren Schwester hat es bewiesen. Freilich unter der Voraussetzung, dass man selbst auch Lust und Bereitschaft hat, gemeinsam mit den lieben Kleinen auf Entdeckungsreise durch die Grimmwelt zu gehen.

Ausstellung mit Augenzwinkern

Natürlich werden sich Kinder noch nicht auf die Feinheiten des Deutschen Wörterbuches einlassen können - und auch die entsprechenden interaktiven Angebote sind sicher den Größeren vorbehalten. Aber eine Hexe im stilisierten Häuschen gibt es schon. Zwar ist es nicht mit Lebkuchenattrappen behängt, dafür kann man hineingehen und hört aus dem Ecken die Geschichte von Hänsel und Gretel mehr geraunt als erzählt. Dann aber, wenn es zur Sache geht, ist auch Action dabei: Nach Aufforderung kann man dem stilisierten Hexenhintern, der mehr an ein Hallenturngerät erinnert, einen beherzten Stoß versetzen - und mit einem grässlichen Schrei fährt die böse Alte in den Ofen hinein.

Es ist viel Realitätssinn in den Märchen der Grimms, das nimmt die Ausstellung spielerisch und oft mit einem Augenzwinkern auf. Hinreißend ist es, wenn Kinder unermüdlich dem Froschkönig nachhüpfen, der unkalkulierbar auf den Boden gebeamt wird und plötzlich wieder verschwindet. Den Hit gibt allerdings der Schalltrichter her, dem man ein „anstösziges Wort“ anvertrauen soll, wofür einen die Maschine mit einer Deftigkeit aus dem Grimmschen Wörterbuch belohnt. „Ärschlein“ oder „Pissblume“ kann man da hören, auch „krass“ ist dabei. Das kannte man also zu Lebzeiten der berühmten Brüder schon, im 19. Jahrhundert. Einfach krass.

Grimmwelt Kassel, Weinbergstraße 21, Di-So 10-18, Fr 10-20 Uhr. Eintritt: 8, ermäßigt 6 Euro

Das Museum im Internet: www.grimmwelt.de

In der Sonderschau „Im Dickicht der Haare“ ist „Relation in Time“ von Marina Abramovic and Ulay aus dem Jahr 1977 zu sehen.
In der Sonderschau „Im Dickicht der Haare“ ist „Relation in Time“ von Marina Abramovic and Ulay aus dem Jahr 1977 zu sehen.
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Reizvoller Kontrast: Farbige Wurzeln im sachlichen Bau
Reizvoller Kontrast: Farbige Wurzeln im sachlichen Bau
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