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Museum Synagoge Gröbzig Museum Synagoge Gröbzig: Die Schichten der Geschichte

Von Andreas Hillger 19.11.2004, 17:27

Gröbzig/MZ. - In Gröbzig nämlich soll auch, aber eben nicht nur an den Holocaust erinnert werden, der als schwarzer Schleier über jede Ausstellung zur jüdisch-deutschen Geschichte gelegt werden muss. Im Mittelpunkt steht hier das Leben einer israelitischen Kultusgemeinde - und der Alltag ihrer Mitglieder vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Dabei muss man vorausschicken, das sich die Rettung der Gröbziger Synagoge keineswegs dem Einschreiten von tapferen Bürgern gegen die Novemberpogrome verdankt - sondern schlicht der Tatsache, dass sich die Gemeinde mangels Mitgliedern bereits 1934 aufgelöst hatte. Neun Gröbziger Juden wurden bald darauf dennoch deportiert, am 1. Oktober 1940 meldete der Bürgermeister seine Stadt pflichtbewusst als "judenfrei".

Damit wurde gewaltsam und zynisch eine mehr als dreihundertjährige Regionalhistorie beendet, die 1621 mit den ersten Schutzbriefen des Fürsten Casimir von Anhalt-Dessau begonnen hatte. Im Kantorenhaus kann man die Stationen jüdischer Geschichte in Anhalt nun als aufsteigenden Zeitstrang studieren, der hier auf die Rückseite der Treppenstufen zum Obergeschoss montiert worden ist.

Auch ansonsten überrascht die von der Museumsdirektorin Marion Mendez kuratierte und von der halleschen Firma Partnerconcept gestaltete Schau durch sinnliche Angebote. Im Steinthal-Raum und in der benachbarten Abteilung zu Leben und Werk des Dichters Leo Löwenthal darf man durch die Reprints ihrer Werke blättern, eine Hörstation präsentiert jiddische Lieder und die eigentümliche Sprach-Mischung aus "Hoch-Gröbziger und Jüdisch-Deutsch". Ein Film erzählt vom Schabbat-Fest in einer heutigen jüdischen Familie, eine Computer-Station soll demnächst neue Forschungs-Ergebnisse präsentieren und zur Vernetzung mit anderen Gedächtnisorten beitragen. Die ganze Qualität der Schau aber kann man erst ermessen, wenn man sie mit den Resten der alten Ausstellung auf der Frauenempore der Synagoge vergleicht.

Hier sieht man in der Aufarbeitung des jüdischen Ritus noch immer die Schreckstarre angesichts der übergroßen Schuld, die bis heute vielen Debatten über das deutsche Judentum eingeschrieben ist. Dass man den kulturellen Verlust durch den Genozid freilich nur dann begreifen kann, wenn man die ursprüngliche Bereicherung abbildet, ist die wesentliche Erkenntnis der Schau. Und so ist rund um die Installation der Kennkarten mit dem stigmatisierenden "J" Geschichte in Schichten aufbewahrt.

Da finden sich Dokumente des Vereinslebens wie die Platte eines wohltätigen "Kreuzbruder-Stammtischs" neben Stand- und Gewerbegenehmigungen für jüdische Händler und Handwerker. Und da soll es - dank einer Leihgabe von Erben der Gröbziger Familie Goldstein, die gewiss der größte Vertrauensbeweis für das Museum ist - demnächst Zeugnisse für den Militärdienst von Juden im Ersten Weltkrieg. All dies fügt sich zu einem Panorama, das ohne falsche Larmoyanz und wohlfeile Reue-Bekenntnisse auskommt. So ist als einziger Mangel in Gröbzig derzeit noch das Fehlen eines Katalogs zu beklagen, der die Aspekte der sehenswerten Schau auf derselben ästhetischen Höhe verhandelt. Der aber, so hört man, sei in Arbeit.

Dienstag bis Donnerstag

10-12 und 14-17 Uhr, Freitag 10-12 und Sonntag 14-17 Uhr.