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Gebaut für die Ewigkeit Museum für Vorgeschichte in Halle: Gebaut für die Ewigkeit

Von Günter Kowa 08.05.2017, 12:10
Dunkles Raunen: Durchblick vom Altangeschoss des Museums in den Lichthof. Zu sehen sind 1918 gefertigte Hakenkreuzmalereien auf der Nordwand des Treppenhauses.
Dunkles Raunen: Durchblick vom Altangeschoss des Museums in den Lichthof. Zu sehen sind 1918 gefertigte Hakenkreuzmalereien auf der Nordwand des Treppenhauses. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Archiv

Halle (Saale) - Als noch Ruß und Staub die Fassaden verdüsterte, ragte der steinerne Koloss des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle wie ein Schatten über jeden, der sich näherte. Das Image von Bauwerk und Institution hat sich aber radikal gewandelt, seitdem dank Gebäudereinigung die honigfarbenen Töne des Treffurter Kalksteins wiederbelebt sind und das Haus dank „Himmelsscheibe“, Publikumsausstellungen und einer alle Sinne ansprechenden Präsentation seiner Schätze breite Besucherkreise erreicht. Bis heute ist aber die Botschaft, die in dem Bauwerk selbst eingeschrieben ist, kaum jemandem verständlich.

Denn was soll denken, der die Messingklinke der eichenen, tief dunkel getönten Eingangstür drückt, um „UNSERER VORZEIT“ einen Besuch abzustatten? Das Weihevolle in dieser Inschrift aus ehernen Großbuchstaben in römischer Antiqua-Schrift mutet heute mehr als befremdlich an, denn es hüllt das Museum in ein raunendes Pathos und weist ihm eine Wächterrolle über eine ferne, mythische Zeit zu, die als „unsere“ angesprochen wird. Die Architektur wiederum birgt Anklänge an römische Monumentalbauten und will somit weder „Vorzeit“ beschwören, noch zu „uns“ gehören.

Museum für Vorgeschichte Halle wurde 1918 eröffnet

Um diese verschränkte Dialektik zu erhellen, brauchte es Forschung, die erst hundert Jahre nach der Eröffnung des Museums im Oktober 1918 in der nötigen Tiefe und Breite erfolgt ist. Sie liegt jetzt in einem opulenten Buch vor, das die bauliche und räumliche Qualität der Architektur in brillanten ganz- und doppelseitigen, teils aufklappbaren Fotos vor Augen führt und in seine Entstehungsgeschichte in einem straffen, durchgliederten Text einführt, begleitet von einer Fülle kaum bekannter historischer Aufnahmen.

Die markante Handschrift des Fotografen Juraj Liptak kennt man aus Katalogen, Büchern und der Raumgestaltung des Hauses. Nach einem Vorwort vom Landesarchäologen Harald Meller und einer Einführung des Archäologen Bernd Zich nimmt der hallesche Denkmalpfleger und Kunsthistoriker Holger Brülls den Leser mit auf eine kulturgeschichtliche Tour de Force durch Halles Aufbruchszeit zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik. Der Autor schildert die Entstehung des Museumsbaus als ein Zusammenwirken von drei ebenso genialen wie abgründigen Geistern: dem Museumsgründer und Vorgeschichtler Hans Hahne, dem Architekten Wilhelm Kreis und dem Maler, Architekten und „Burg“-Gründer Paul Thiersch. Hahne, sagt Brülls, wollte von Anfang an keinen Zweckbau, sondern ein „Monument“.

Ursprünglich Mediziner, kam er zu einem biologistischen Verständnis von Archäologie. Er wollte zurück in die „Anfänge des deutschen Volkstums“. Dessen Wesen, erklärte er, sei zeitlos unveränderlich. Was das Museum vermitteln sollte, war kein Begriff von Geschichte, sondern von Ewigkeit und Dauer: „Das Gewesene weist dem Werdenden die Wege ... im Kampfe um unsere Artung, unseres Volkes Zukunft.“ Er machte das Haus zur Bühne völkischen „Brauchtums“, veranstaltete „Jahreslaufspiele“ mit jungen Männern und Frauen in weißen Gewändern, die im Lichthof um den „Opferstein“ tanzten.

Von der wissenschaftlichen Kulturstätte zur weltanschauliche Kultstätte

Kein Wunder, dass Hahne schon Mitte der 20er Jahre in die NSDAP eintrat und nach 1933 sofort Karriere machte. Aber er war kein dumpfer Parteigänger, sondern hatte Kunstverstand. Mit Wilhelm Kreis fand er den richtigen Architekten, der ihm die Monumentalität für „die große Aufgabe“ baute. Kreis hatte Sinn für Feinheiten von Ornament und Harmonien von Farbe. Aber natürlich gab es keine „Vorzeit“-Architektur als Referenz. Es kam nur die römische Antike in Frage.

Die Kulthaftigkeit des Museums fand seine Überhöhung im Zyklus von Wandmalereien, den Thiersch zusammen mit drei Maler-Gehilfinnen ausführte. Im Treppenhaus rankte – erst 1952 übertüncht – die „Weltesche Yggdrasil“ empor und passierte im Mittelgeschoss zwei gegenläufig gesetzte „indisch-arische“ Hakenkreuze als Lebens- und Todessymbol - bald auch Abzeichen der NSDAP. Im Obergeschoss manifestiert sich der „ewige Volkswille“ in den heute noch erhaltenen rhythmischen Darstellungen archaischer Riten wie der „Jünglingsweihe“ oder der „Herrscherwahl“. Hahne hoffte in der NS-Zeit vergebens, den Expressionismus als völkisch-modern zu etablieren, und nur sein Ansehen verhinderte, dass die Malereien abgeschlagen wurden.

Brülls gelingt es in scharfsinnigen Beobachtungen und präziser Sprache, das Bauwerk in seiner Spannung zwischen Rückwärtsgewandtheit, ideologischer Überfrachtung und Modernitätsanspruch zu entschlüsseln. Er beschreibt den Wandel „von der wissenschaftlichen Kulturstätte zur weltanschauliche Kultstätte“. Der heutige Umgang mit dem Gebäude zeigt, dass derlei Perversion nicht unumkehrbar ist; aber seine Ursprünge sind das Lehrstück einer geschichtspolitischen Ideologie, die immer noch Fürsprecher findet.

››Holger Brülls: „Moderne und Monumentalität. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle von Wilhelm Kreis und seine expressionistischen Wandbilder“, Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, 340 S., 39,90 Euro (mz)