Museum der bildenden Künste Leipzig Museum der bildenden Künste Leipzig: Retrospektive: Maler Arno Rink befragt sich selbst

Leipzig - Aufrecht zwar, doch sonderbar entrückt sitzt er in seinem Atelier. Ein Tuch in den Händen - wohl, um sie von Farbe zu reinigen. Er blickt in Richtung des Betrachters. Aber ob er ihn auch sieht? Neben dem Porträtierten, dessen linkes Bein wie zum Aufstehen gewinkelt ist, steht eher schemenhaft ein dekorativer, großer Hund. Man weiß nicht genau, warum der Mann, der Maler Arno Rink selbst, dennoch verharrt: Ist die Arbeit des Tages getan und wird jetzt noch begutachtet? Blickt er auf sein ganzes Künstlerleben zurück?
Es könnte also ein alltäglicher - aber auch ein besonderer Moment sein. Einer für die Ewigkeit. Oder ist es eher das Festhalten eines wiederkehrenden Zweifels? Den trug Rink mit sich wie seine Ängste und Skrupel.
Unverschuldet glücklos
Davon erzählt nicht nur dieses eine Bild, nüchtern „Atelier IV“ genannt und 2012 entstanden. Fünf Jahre vor dem Tod des Leipziger Malers, in dem man einen der herausragendsten Vertreter einer unverschuldet glücklosen Zwischengeneration erkennen kann, die zwischen den berühmten Begründern der Leipziger Schule und deren Enkeln, den inzwischen noch berühmteren Helden der neuen Leipziger Schule steht. Zwischen Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Werner Tübke auf der einen und dem Überflieger Neo Rauch, Rinks Schüler, auf der anderen Seite. Keine schöne Lage für einen Mann, der selbst so viel zu sagen hat als Maler.
Nun zeigt das Museum der bildenden Künste in Leipzig, wo Rink zu Hause war, endlich eine große Werkschau, von dem bereits todkranken Maler noch selbst wesentlich mit kuratiert. Hier darf man getrost einmal pathetisch werden: Es dürfte das künstlerische und auch politische Vermächtnis des Malers sein, was man in dem postmodernen, hochbunkerartigen Bau am Leipziger Sachsenplatz zu sehen bekommt. Die Auffahrt in die dritte Etage lohnt also unbedingt, vom Treppensteigen ist nicht nur den Älteren eher abzuraten.
Die umfangreiche Ausstellung, sowohl thematisch als auch chronologisch geordnet, zeigt die Entwicklung Rinks - malend und in seiner Reflexion über Kunst, Gesellschaft und sich selbst. Dabei tritt hier zu Tage, was selten gelingt oder auch nur versucht wird, wenn es um jüngere Zeitgeschichte geht: Der Protagonist stellt sich in überzeugender Ehrlichkeit vor. Man darf Rinks ausdrückliches Einverständnis mit dieser Methode voraussetzen. So gibt es eben auch Beispiele seiner Frühwerke, darunter das propagandistische „Die führende Rolle der Arbeiterklasse“ von 1973/74, zu denen Rink sich bekannt hat und denen er seinerzeit, in der DDR, auch hohe Preise zu danken hatte. Aber der 1940 in Schlotheim (Thüringen) geborene Maler hat auch beizeiten selbstständige Positionen behauptet und sich damit vom Verdacht opportunistischer Staatsnähe befreit.
„Die Unabhängigen II“ aus dem Jahr 1975 stellt eine Bohème-Szene mit Künstler und nackten Frauen dar, die alle wie in einem Kokon versponnen zu sein scheinen - unabhängig zwar, aber eben auch fern der realsozialistischen Kämpfe.
Ein ähnliches Sujet zeigt „Das Narrenschiff“ von 1981/82. Träumer, die eher unglücklichen Gefangenen gleichen, sind in der Takelage gefangen und befinden sich auf einer Reise ins Nirgendwo. Wenn man die historische Zeitachse anlegt, wird man eine tiefe Verzweiflung erahnen können. Das Gemälde, sieben Jahre vor dem Ende der eingemauerten DDR entstanden, wirkt wie eine an Hieronymus Boschs apokalyptischen Visionen angelehnte Illustration der Agonie.
Rinks Zweifel, nicht zuletzt an sich selbst, prägen sein melancholisches, zunehmend auch verzweifeltes Werk. Dafür steht herausragend die Serie der Bilder, auf denen das Atelier in Flammen steht - etwa „Ich verbrenne meine Bilder“ von 1988. Ein Notruf. Und auch eine Absage an den offiziellen Kunstbetrieb.
Selbst als Doppelporträt
Im Jahr 2000, annähernd auf der Mitte des Weges, der Rink von der Zeitenwende bis zu seinem Tod blieb, hat er eines seiner aufregendsten und verstörendsten Bilder gemalt: „Kreuzigung“. Hier zeigt sich der Künstler wie so oft selbst, nun aber gleich in zweifacher Gestalt - einmal als Schmerzensmann, aber auch als einer von jenen Würdenträgern, die in Roben gehüllt und mit wichtigen Minen neben dem Kreuz stehen und das Urteil über den Todgeweihten gesprochen haben.
Eine doppelte Pointe. Denn der gebildete Betrachter weiß schon, dass Jesus, die ikonische Vorlage, als Botschafter der christlichen Liebe von den Toten auferstanden ist. Ein starkes Stück: Da hat sich Rink selbst ans Kreuz geschlagen und reklamiert zugleich die Unsterblichkeit der Kunst auch für sich. Zu Recht, wie diese Ausstellung zeigt. (mz)
››Arno Rink: „Ich male“, Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10, bis 19. August, Di, Do-So 10-18, Mi 12-20 Uhr; Eintr.: 10, erm. 7 Euro

