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Montagsdemonstrationen Montagsdemonstrationen: Die Montagsschwarzmaler treffen sich auch in Halle

Von Steffen Könau 13.05.2014, 17:51
Friedensbewegung 2.0 oder populistische Verführer: Die Demo in Halle distanziert sich von Extremisten.
Friedensbewegung 2.0 oder populistische Verführer: Die Demo in Halle distanziert sich von Extremisten. Könau Lizenz

Halle (Saale)/MZ - „Und wer ist jetzt hier genau für was?“, fragt die ältere Dame irritiert. Links stehen Leute mit Stanniolpapier-Hüten, die Krawall machen. Hinten rufen andere „Kein Frieden mit Antisemiten“. Und vorn verliest Thomas Markgraf, ein Mittvierziger in Lederjacke und Pulli, ein Grundsatzpapier zum Selbstverständnis einer Friedensbewegung, die sich auf die Montagsdemos beruft, die am Anfang des Endes der DDR standen.

Doch was damals einfach gewesen ist, weil der SED-Staat ein Gegner war, auf den sich alle einigen konnten, ist heute schwierig. Als der frühere Radiomoderator Ken Jebsen Mitte März wegen der sich zuspitzenden Situation auf der Krim in den sozialen Netzwerken zu einer Friedensdemonstration am Brandenburger Tor aufrief, folgten ihm zwar einige hundert Menschen. Und einen Monat später hatte sich die selbsternannte Volksbewegung gegen den Krieg schon auf 40 Städte ausgeweitet, darunter auch Leipzig und Halle. Beifall aber bekam die Friedensbewegten 2.0 nicht. Stattdessen gab es eine Welle der Kritik. Antisemiten und Verschwörungstheoretiker sammelten sich hier, eine Querfront aus Rechts- und Linksextremisten mache gegen die Demokratie mobil. Der Friedenskreis Halle und die Piratenpartei zogen sich aus dem Vorbereitungskomitee zurück. Thomas Markgraf, gelernter Energieelektroniker und bis dahin „nie politisch aktiv“, wie er sagt, übernahm und forderte schon im ersten Aufruf: „Extremistische Gesinnungen haben zu Hause zu bleiben“.

Angreifbare Thesen

Belege für angreifbare Thesen fand dennoch, wer danach suchte, auch bei den ersten Demonstrationen in Halle. Die US-Notenbank Fed und ein namenloses Finanzkapital wurden als Verantwortliche für Armut, Hass und Kriege ausgemacht. Redner stellten die Systemfrage, ziehen Parteien und Politiker der Volksferne und beschuldigten die EU, den Ukraine-Konflikt durch ihr Handeln geschürt zu haben. Plakate wurden gereckt, die „Frieden - Mir“ und „Stoppt Monsanto“ forderten, aber auch „Stopp Chemtrails“ und „Aufklärung über Haarp“, zwei im Internet äußerst beliebte moderne Märchen aus der Abteilung geheime Weltregierung. Dass Medien die Menschen auf der Straße deshalb nicht ernst nahmen, sorgte für Wut. Wut, die Theorien über ein Land speist, das irgendwie wohl doch von geheimen Mächten regiert wird.

Drei Wochen später allerdings ist die Realität auf die Marktplätze eingekehrt. Auch in Halle demonstrieren sie weiter, mit Reden, mit dem alten „Auch Dich haben sie schon genauso belogen“ von Hannes Wader und Hobbymusikern, die Lindenbergs „Wozu sind Kriege da“ intonieren. Vor der Lkw-Bühne stehen Alte und Junge, Männer im Anzug, Frauen im Bürokostüm, einige Studenten aus Ghana und Leute aus der alternativen Kulturszene, dazu die Gruppe Punks, die zur Premiere noch laut gegen die vermeintlich aufmarschierten „Nazis“ protestiert hatte.

Macht und Regeln und Tabus

„Ich bin schwul“, sagt ein Redner, der sich wie alle hier nur mit Vornamen vorstellt, „also bin ich wohl ein schwuler Nazi, weil ich hier spreche.“ Der Mann, Verkäufer von Beruf, spricht von einem tiefen Unbehagen, das ihn quäle. Grund ist auch bei ihm das, was sie hier „das System“ nennen. Dabei handelt es sich um eine nicht näher bezeichnete Verschränkung von Eliten und Macht und Regeln und Tabus, die, so glauben sie, immer wieder zum Krieg führt. Krieg sei nämlich das Mittel der Mächtigen, die Schuldenuhr auf Null zu stellen und noch mehr Menschen unter die Knute der Zinsknechtschaft zu zwingen.

Dagegen wollen sie aufstehen. Frieden brauche Freiheit, Freiheit aber brauche wahre Demokratie, „nicht die Parteienherrschaft, die wir haben“. Für solche Sätze gibt es Applaus, denn die, die hier stehen, sind überzeugt, dass sie die Zusammenhänge verstehen, die hinter allem stecken. Angst, Misstrauen und Entfremdung von dem, was in den Nachrichten als „alternativlos“ bezeichnet wird, treibt sie, die Montagsschwarzmaler, nach deren Überzeugung der nächste Weltkrieg nur noch zwei, drei Wochen entfernt ist. „Ich sehe hier kluge Menschen mit Antennen, die die Gefahr erkennen“, sagt Frank, der sich auch entschlossen hat, zu den Leuten sprechen. Wichtig sei jetzt, ideologische Gräben zu überwinden und alle mitzunehmen in den nächsten Frieden.

Ein weiter Weg wird das bis dahin für eine Bewegung, die noch auf der Suche nach sich selbst ist. „Schlimm finde ich“, sagt eine Frau, die sich Jana nennt, „dass man Mut braucht, um hierher zu gehen.“ Kollegen von ihr seien deswegen nicht mitgekommen. Eine andere Demo-Teilnehmerin zeigt auf die Wahlplakate, die überall ringsum an den Laternen hängen. „Wir sind das Volk und wir stehen hier“, sagt sie, „aber hat sich schon einer von denen zu uns bemüht, die wir wählen sollen?“