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Monika Maron Monika Maron: Der Traum vom richtigen Leben

Von ANDREAS MONTAG 28.08.2009, 16:52

BERLIN/MZ. - Die Erfolgsgeschichte von Q-Cells indessen bleibt stehen, die Berliner Schriftstellerin Monika Maron hat sie in ihrem glänzenden literarischen Bericht "Bitterfelder Bogen" festgehalten, ohne eine Hymne zu singen. Allenfalls auf die Protagonisten des Wunders. Und die haben das auch verdient.

Wir sitzen in ihrer lichten Wohnung im Westen Berlins und reden erst einmal über den dunklen Osten: Ende der siebziger Jahre hatte sich die DDR-Journalistin Monika Maron, Jahrgang 1941, schon einmal mit der mitteldeutschen Chemie-Region beschäftigt und war entsetzt nach Ostberlin zurückgefahren. Aber die Wahrheit über rostende Rohre und giftige Luft wollten die Auftraggeber der Reportage nicht hören. Also schrieb Monika Maron ein Buch, das sie berühmt gemacht hat: 1981 erschien "Flugasche" im Westen, weil es im Osten nicht gedruckt werden durfte.

Der Roman, der die kollabierende DDR-Wirtschaft und ihren verfaulten politisch-ideologischen Überbau in den Blick nahm, aber auch die Menschen, die unter diesen Umständen leben und arbeiten mussten, erscheint heute, nach fast drei Jahrzehnten, wie der Anfang des "Bitterfelder Bogens", den die Autorin nun geschlagen hat.

War "Flugasche" ein Buch der uneingestandenen und unerlaubten Träume, so ist Monika Maron nun dem Traum vom anderen, dem "richtigen Leben und Arbeiten", nachgegangen. Spricht sie von Reiner Lemoine, der vor drei Jahren gestorben ist und in ihren Augen eher Anarchist als Kommunist war, ein Visionär, der nach herrschaftsfreien Räumen und regenerativen Energien für die Welt suchte, wird Marons Ton fast zärtlich. Überhaupt: "Wenn man solch ein Buch schreibt, steckt man emotional plötzlich ganz drin". Wie eine Mitgründerin fühle sie sich, so sehr ist ihr das Projekt ans Herz gewachsen. Und dabei hat sie immer noch keine Aktie von Q-Cells gekauft. Den Anteilschein trägt sie im Herzen, seit sie von den "Verrückten" um Lemoine gehört hatte, die in Berlin-Kreuzberg gemeinsam arbeiteten und entschieden, sich einen Einheitslohn zahlten und als überzeugte Atomgegner an einer alternativen Zukunft bastelten.

Ein Märchen kann man nennen, wie die Utopie durch die Begegnung Lemoines mit Anton Milner, dem kapitalismuserprobten Manager, schließlich zur Realität auf dem Feld an der Bundesautobahn 9 bei Thalheim in Sachsen-Anhalt wurde - begünstigt durch den Umstand, dass Berlin die Träumer nicht wollte und man in Thalheim "rote Teppiche ausrollte, die sie vielleicht noch gar nicht hatten".

Utopien steht Monika Maron eigentlich skeptisch gegenüber, als gelernte DDR-Bürgerin ist sie ein gebranntes Kind. "Gesellschaftsutopien haben noch nie funktioniert, verbündet mit Macht verwandelten sie sich in Diktaturen". Dass man aber, wie es die Gründermannschaft von Q-Cells tat, sehr wohl den Kapitalismus mit Utopien konfrontieren und quasi unterwandern kann, gefällt ihr gut. Nun ist aus dem Planspiel idealistischer Tüftler großtechnische Realität geworden, die Solarfabrik hat sich zum global agierenden Konzern gemausert - mit allen Problemen, die Krise und Konkurrenz einem solchen Unternehmen aufzwingen: "Man kann hier nicht billiger produzieren als in China", sagt Monika Maron. Und China überschwemmt den Markt. Aber der "Spirit", der Geist der Q-Cells-Gründer lebt, die Autorin ist überzeugt davon, dass das Märchen weitergeht. Bei allem, was sie vor Ort auch gestört hat: Zum einen der Zaun, der gegen Reiner Lemoines Intentionen um das Areal der Fabriken gezogen worden ist. "Ein trauriges Ding", findet Monika Maron: "Man kann ein Betriebsgelände auch schützen, ohne es zum Sperrgebiet zu erklären." Wie sollen die Firmen der Zukunft und die Region, nach dem Crash der DDR-Volkswirtschaft fast am Ende und neu belebt durch den Chemiepark und die Solartechnologie, zusammenkommen, wenn man die nebenan siedelnden Bürger derart ausschließt?, fragt sie sich.

Ohnehin: "Die Region bleibt hinter der Wirtschaft zurück", hat Q-Cells-Chef Anton Milner gesagt. Die Autorin teilt die Sorge: "Kein Mensch erwartet eine Oper in Bitterfeld", sagt sie. "Aber man müsste Lust bekommen, auf die Straße zu gehen." Ein schickes Café, ein guter Italiener in Bitterfelds Innenstadt, nicht nur Imbiss-Buden und Ramsch-Stände - das wäre schon etwas. Aber sie weiß auch: "Das müssten die Bürger selbst entscheiden." Klar: Wo die Nachfrage fehlt, wird auch kein Angebot gemacht werden. "Sonst", sagt Frau Maron, "wird sich die Stadt damit wohl abfinden müssen, dass sie eine Wohnstadt bleibt".

Der große Traum vom anderen, vom richtigen Leben und Arbeiten, vom Zukunftsort auf den Trümmern der zusammengebrochenen DDR-Großindustrie - er ist nicht völlig aufgegangen. Aber es ist etwas entstanden, das niemand für möglich gehalten haben würde. Und Mut ist gewachsen - viel mehr, als es die Klischeebilder vom Osten hergeben können: Dort soll es wimmeln von Mutlosen, aus dem Leben Gefallenen, Links-Wählern und Anhängern der Rechtsextremisten.

Wenn Monika Maron über solche Zerrbilder spricht, sieht sie zornig aus. Diejenigen, "die etwas schaffen wollen und ihr Land wieder in Ordnung bringen", seien offenbar am wenigsten interessant. Erfolgsgeschichten hingegen "haftet immer etwas Peinliches an". Dieser, der vom "Bitterfelder Bogen", nicht. Dafür ist sie zu offen, zu kritisch. Und zu liebevoll. Man liest dieses Buch mit Freude. So, wie man seiner Autorin begegnet. Demnächst, in Bitterfeld-Wolfen.