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Mittelbau-Dora Mittelbau-Dora: Ausstellung entzaubert den Mythos «Wernher von Braun»

Von Christian Schneider 06.09.2006, 06:47
Reste eines Antriebsblocks mit Brennkammer einer V2-Rakete besichtigen zwei Besucher in einem unterirdischen Stollen der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen. (Foto: dpa)
Reste eines Antriebsblocks mit Brennkammer einer V2-Rakete besichtigen zwei Besucher in einem unterirdischen Stollen der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Nordhausen/dpa. - Als Curd Jürgens 1960 im Kino denRaketenforscher Wernher von Braun verkörperte, spielten die 20 000 toten Zwangsarbeiter in Nordhausen keine Rolle. Sie starben zwischen1943 und 1945 in den Stollen bei gigantischen Rüstungsvorhaben derNazis, unter anderem beim Bau von rund 6000 «V2-Raketen». DerenEntwickler avancierten in der Nachkriegszeit zu «Stars der Forschung»- allen voran Braun als «Vater der Mondrakete», sagt Karsten Uhl,Historiker der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Dort soll von Freitagan eine neue Dauerausstellung das Bild der unpolitischen Forscherwiderlegen. «Das Wort Mittäter trägt nicht, es waren Täter.»

In der «Mittelwerk GmbH zur Herstellung und Bearbeitung von Eisen-und Metallwaren sowie Geschäften ähnlicher Art» war die SS fürBewachung und «Disziplinierung» der bis zu 40 000 ausländischenHäftlinge zuständig. Sie waren in zahlreichen KZ-Außenlagern rund umdie Südharzer Stollen untergebracht, und die SS sorgte beständig fürNachschub. Bis zur Errichtung fester Lager lebten die KZ-Häftlinge inden Stollen des ehemaligen Gipsbergwerkes, wo viele von ihnen anKrankheiten, Unterernährung und Erschöpfung starben. Jeder im Werkhabe das gewusst, gibt der Nordhäuser Betriebsdirektor Arthur RudolphJahre später zu Protokoll.

Diese Verbrechen verschwanden jedoch lange Zeit im Schatten derRaketenbegeisterung, verkörpert vor allem von Wernher von Braun alsLeiter des «Entwicklungswerks» in Peenemünde und später Nordhausen.Der Mythos, der sich um seine Person rankt, soll in der Ausstellungentzaubert werden. So war von Braun bei zahlreichen Sitzungenanwesend, in denen zusätzliche Häftlinge angefordert wurden.Mindestens einmal fuhr er im Sommer 1944 selbst in das KZ Buchenwaldbei Weimar, wo er laut einem Brief vom August 1944 «einige weiteregeeignete Häftlinge ausgesucht» hat.

Mit Kriegsende begann das Wettrennen der Siegermächte um dieKonstrukteure, die ihren Konkurrenten um «25 Jahre voraus» waren, wieder US-Nachrichtenoffizier Robert Staver vom amerikanischenVorauskommando urteilte. Von Braun und sein Team hatten sich vor derEntdeckung der Leichenberge in der Nordhäuser Anlagen nach Bayernabgesetzt. Von dort nahmen sie Kontakt zu amerikanischen Truppen aufund boten ihre Zusammenarbeit an. «Mein Land hat zwei Weltkriegeverloren. Diesmal möchte ich auf der Seite der Sieger stehen»,zitiert der Historiker Rainer Eisfeld von Braun.

Seine Verhandlungspartner stimmten schließlich zu, trotz derBedenken mehrerer Geheimdienstoffiziere an der «Unbedenklichkeit» derGruppe. In hunderten von Güterwaggons verluden US-Teams technischesMaterial, ehe im Juli 1945 die sowjetischen Truppen in dem zu ihrerBesatzungszone gehörenden Thüringen einrückten. Zwei Monate späterlandeten von Braun und sechs Konstrukteure in den USA, 115 weitereMitarbeiter zogen nach.

Doch auch die sowjetischen Experten fanden noch genügend Materialund Mitarbeiter, um in Bleicherode im Südharz das «Institut Rabe» zurRaketenforschung aufzubauen. Als dort im Sommer 1946 bereits 7000deutsche und 19 000 sowjetische Experten arbeiteten, fiel dieEntscheidung, das Projekt in die Sowjetunion zu verlagern. 300deutsche Experten wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit ihrenFamilien ausgeflogen. Erst zwischen 1953 und 1958 kehrten sie vomForschungsareal auf der Insel Gorodomlia zurück.

Wernher von Brauns Aufstieg in den USA begann mit Verzögerung.Erst nach dem Start des ersten sowjetischen Satelliten «Sputnik»flossen die Forschungsmittel in den USA üppiger. 1955 wurde von Braunamerikanischer Bürger und 1959 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.Krönung seiner Karriere war die erfolgreiche Mondlandung 1969.

Nach Erkenntnissen der Historiker wurde lediglich ein einzigesMitglied des Teams von seiner Vergangenheit eingeholt: Gegen den inNordhausen für Häftlingseinsatz zuständigen Betriebsdirektor Rudolphleiteten amerikanische Behörden 1982 ein Ausbürgerungsverfahren ein.Er kam dem Urteil zuvor und kehrte nach Deutschland zurück. EinErmittlungsverfahren gegen ihn wurde 1987 eingestellt.

Gelegentliche Kritik am populären von Braun machte sich weniger anan seiner NS-Vergangenheit fest als an der Waffenforschung an sich:Den mit «Ich ziele auf die Sterne...» übersetzbaren Titel des Filmsvon 1960, an dessen Drehbuch von Braun selber mitarbeitete, ergänzteein amerikanischer Komiker mit schwärzestem Humor «Aber manchmal trafich London.»