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Mit Fantasie geht alles besser: Berührende Huldigung einer Großmutter

Von Susanna Gilbert-Sättele 02.10.2007, 09:57

Hamburg/dpa. - Niemand lasse sich von der simplen Sprache von «Die Frau im Mond» täuschen: Für ihren neuen Roman hat sich Milena Agus einen überaus originellen Plot ausgedacht, der mit vielen überraschenden Wendungen und vor allem mit einem völlig unerwarteten Ende aufwartet.

Aus der Sicht der Enkelin wird die Lebensgeschichte einer schönen, aber auch ein bisschen verrückten Sardin erzählt, die sich mit außergewöhnlicher Fantasie über die Ödnis des Lebens hinweg rettet. Auch wenn das Motiv, die Lebensgeschichte der Großmutter zu erzählen, zur Zeit von Berlin bis Barcelona in Mode ist, diese italienische Variante der Huldigung einer außergewöhnlichen Frau besticht durch Raffinesse und Farbenpracht.

Mit dreißig Jahren gilt die Tochter sardischer Bauern als alte Jungfer, denn noch jeder ihrer Verehrer hat Reißaus genommen. Zu spät kommen die Eltern dahinter, dass ihre Tochter den Galanen leidenschaftliche, sogar leicht anrüchige Briefe geschrieben und die sardischen Machos damit gründlich verschreckt hat. Doch dann erscheint im Kriegsjahr 1943 ein Flüchtling aus Cagliari im Dorf und hält um ihre Hand an.

Liebe, das wissen beide, ist nicht im Spiel. Die Liebe zu erleben - dem gilt aber alles Sehnen der jungen Frau, das sie heimlich in Gedichten und Gedanken zur Papier bringt. Ihrer Exzentrik begegnet der Mann unterdessen mit stoischer Geduld. Zunächst befriedigt er seine Bedürfnisse wie vor der Ehe bei Dirnen, doch in Sorge um das Geld bittet seine Frau ihn schließlich, ihr zu erklären, «was Ihr mit diesen Frauen macht, dann kann ich das in Zukunft übernehmen.»

1950 begegnet die Ehefrau dann endlich der Liebe, als sie bei einer Kur auf dem Festland einem versehrten Kriegshelden über den Weg läuft. Zwischen ihr und dem verheirateten Mann entwickelt sich eine Beziehung, die sie für den Rest des Lebens aufrecht hält. Neun Monate nach ihrer Heimkehr von der Kur bringt sie endlich einen Sohn, den Vater der Erzählerin, zur Welt, lebt aber weiter in ihrer Fantasiewelt, ohne zu erkennen, wieviel Halt ihr der Ehemann gibt. Nach ihrem Tod und der Renovierung ihres Hauses schließlich entdeckt die Enkelin die gänzlich überraschende Wahrheit.

Der Roman der sardischen Autorin liest sich nicht nur als Liebeserklärung an die Großmutter, sondern auch als Hymne auf die spröde Schönheit Sardiniens und die Gastfreundschaft der Menschen dort, die allerdings auch in starr-konservativen Lebensmustern verharren. Agus beherrscht die Kunst der Andeutung so vortrefflich, dass sie gerade einmal 136 Seiten benötigt, um das weite Panorama einer ganzen Generation vor den Augen ihrer Leser zu öffnen.

Milena Agus: Die Frau im Mond

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg

136 S., Euro 14,95

ISBN 978-3-4554-0077-9