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Missionarin Missionarin: Über Kreuz mit der Kirche

Von PETRA PLUWATSCH 11.12.2009, 16:41

Halle/MZ. - "Da hinten", sagt sie schließlich, "da hinten sehe ich einen Afrikaner." 33 Jahre, bis zu ihrem Austritt aus dem Orden der "Missionsschwestern vom Kostbaren Blut", hat Majella Lenzen, 71 Jahre alt und in Aachen geboren, in Afrika gelebt. 33 Jahre, in denen sie Schwester Maria Lauda hieß und über die sie jetzt ein ebenso kluges wie mutiges Buch geschrieben hat: "Das möge Gott verhüten. Warum ich keine Nonne mehr sein kann."

Es ist die Lebensgeschichte einer couragierten Frau, die mit 15 in einen Orden eintritt und ihn mehr als drei Jahrzehnte später auf eigenen Wunsch verlässt, weil sie die Enge des Ordenslebens nicht mehr erträgt. Und es ist die Geschichte vom Versagen einer Kirche, die nicht in der Lage ist, sich den Gegebenheiten einer modernen Welt zu stellen. Sie wolle nicht Kritik um der Kritik willen üben, sagt Majella Lenzen, die man in Kirchenkreisen "Kondom-Nonne" schimpfte, weil sie Verhütungsmittel für Prostituierte in ihrem Auto transportierte. "Ich will sagen: Das ist mir passiert, und ich halte es nicht für richtig."

Majella Lenzen wird 1938 in eine tiefgläubige Familie hineingeboren. Die Patentante lebt als Missionarin in Ostafrika. Mit knapp 15 tritt Majella in ihre Fußstapfen und wird Schülerin im Missionshaus der Schwestern "vom Kostbaren Blut" bei Paderborn; vier Jahre später beginnt ihr Noviziat. Doch schon bald nach Beginn ihrer Ausbildung kommen der Novizin die ersten Zweifel am strengen Rhythmus des Klosterlebens. Für "erfahrbare Gottesnähe" sei kaum Zeit geblieben, sagt sie im Gespräch, eigenständiges Denken und Handeln sei nicht erwünscht gewesen.

Schwester Maria Laudas Körper reagiert mit Krämpfen und Zusammenbrüchen auf das, was sie aus heutiger Sicht Indoktrination und "ein ständiges Sich-Verbiegen" nennt. Damals habe sie gedacht, der Fehler liege allein bei ihr, sie sei nicht gut genug, um den Anforderungen des Klosterlebens zu genügen, sagt sie nachdenklich. "Ich wollte nicht wahrhaben, dass Menschen sich von diesen Strukturen verheizen lassen."

Erst recht will sie nicht wahrhaben, dass sie selber zu eben jenen Menschen gehört, die einem System mit totalitären Zügen in die Falle gegangen sind. Im Januar 1960, nachdem sie die ersten Gelübde abgelegt hat, wird sie nach Nairobi entsandt. Die Ordensleitung hat beschlossen, dass Schwester Maria Lauda am "Nairobi European Hospital" zur Krankenschwester ausgebildet wird. Eine Entscheidung, die noch heute schmerzt. Sie hätte gern Medizin studiert, sagt sie, doch das sei ihr verwehrt worden.

Die 22-Jährige ahnt nicht, dass sie sich in ein Räderwerk aus Arbeit, Überlastung und Selbstzweifeln begibt, das sie Jahre später an den Rande des Selbstmordes führen wird. 1965 wird sie nach Turiani im Nordwesten von Tansania versetzt, kaum ein Jahr später überträgt man ihr die Leitung des dortigen Buschkrankenhauses.

Der Alltag ist hart, es fehlt an allem - an Ärzten, an Medikamenten, an einem gelegentlichen Lob für die geleistete Arbeit. "Ich war permanent überlastet," erinnert sich Majella Lenzen, eine schmale, hoch gewachsene Frau, an die Strapazen jener Zeit. Die mittelalterlichen Strukturen des Ordens greifen auch in Afrika. Gehorsam, Unterordnung, Demut: "Ring küssen und ja, Mylord." Warum, fragt Marjella Lenzen heute - und ein Rest des alten Zorns ist ihrer Stimme anzuhören - warum wurde ihr, einer erwachsenen Frau, von der Oberin verwehrt, Geld, das sie zur Bank bringen sollte, vorher zu zählen?

Auch ihre Zweifel am Sinn einer rigiden Missionierungspraxis wachsen. Die Schwestern sind gehalten, sterbende Säuglinge heimlich zu taufen. "Was ist mit den Kindern, die ungetauft außerhalb des Hospitals sterben?", fragt sie und zieht fragend die Augenbrauen hoch. "Kommen die nicht in den Himmel?"

Zu keinem Zeitpunkt, sagt Majella Lenzen, seien ihr in jener Zeit Zweifel an Gott und an ihrem Glauben gekommen. Die Vorbehalte gegen die Vertreter Gottes auf Erden und das, was diese im Zeichen des Glaubens zu tun bereit sind, wachsen hingegen täglich und brechen sich in Erschöpfungszuständen Bahn.

Immer wieder versucht sie, die verkrusteten Strukturen einer Gemeinschaft aufzubrechen, in der es "nicht auf die Identität des Einzelnen sondern allein auf das Gemeinwohl" ankommt. Vergeblich. Ein Einsatz als Provinzoberin in Simbabwe endet nach fünf Jahren mit ihrer Abwahl. Die Bibliothek, die sie eingerichtet hat, wird aufgelöst; sämtliche Bücher werden verbrannt, das empört sie noch heute. "Nicht einmal mein Name durfte noch genannt werden."

In Tansania wird die inzwischen über 50-Jährige als Aids-Beauftragte eingesetzt und soll in der Stadt Moshi eine Beratungsstelle für Aidskranke einrichten: das "Regenbogen-Zentrum". Längst hat die Krankheit Afrikas junge Bevölkerung im Würgegriff. Die Kirche indes verschließt sich dem Problem weitgehend, und sie tut das, so Majella Lenzens Vorwurf, bis heute. Zu hunderten habe sie die Menschen in Afrika an der Krankheit sterben sehen. Die Kirche jedoch verbiete weiterhin die Benutzung von Kondomen und sei so "mit Schuld daran, dass am Kilimandscharo inzwischen jeder Dritte HIV-positiv ist". Die katholische Kirche, fordert sie, müsse offener werden und sich den gegenwärtigen Problemen stellen. "Aber sie bewegt sich einfach nicht, und das ist tragisch."

Irgendwann fährt auch sie mit ein paar Schachteln des Verhütungsmittels über Land. Eine befreundete Ärztin will sie im Auftrag einer dänischen Organisation öffentlich verteilen, sie selber besucht in der Zwischenzeit kranke Prostituierte. Doch bald schon macht in Moshi die Nachricht die Runde, Schwester Maria Lauda habe eigenhändig Kondome ausgegeben. Inzwischen kann sie lachen über die Bezeichnung "Kondom-Nonne". "Ich fand die Aktion toll und habe selber darüber geredet", erinnert sie sich.

Doch die streitbare Schwester mit dem schlechten Ruf gerät mehr und mehr unter Druck, ihr Vertrag als Aids-Beraterin soll nicht verlängert werden. 1993 bittet sie freiwillig um die Entbindung von ihren Gelübden und zieht, mittellos und zutiefst verletzt, zu ihrer Mutter nach Düren zurück. "Wäre ich geblieben", sagt sie, "wäre ich kaputtgegangen."

2001 beginnt Majella Lenzen, ihre Geschichte aufzuschreiben. Die Zeit ist reif, um öffentlich zu machen, was ihr widerfahren ist. "Ich habe so lange durchgehalten, weil ich immer wieder an das Gute geglaubt habe", sagt sie. Jetzt wage sie, zu sich selber zu stehen und auszusprechen, wozu andere nicht den Mut haben. Gleich wird sie aufstehen und in die nahe Annakirche gehen, um in der Stille des mächtigen Gebäudes die vergangenen eineinhalb Stunden Revue passieren zu lassen. Majella Lenzen ist noch immer eine tiefgläubige Frau.