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Michael Haneke schätzt Fragen mehr als Antworten

15.10.2009, 08:44

Berlin/dpa. - Selten ist ein Film so einhellig gefeiert worden wie Michael Hanekes «Das weiße Band». Das Dorfdrama in Schwarz-Weiß bekam dieses Jahr die Goldene Palme in Cannes, die Kritiker waren begeistert.

Der Film, der am 15. Oktober in die Kinos kommt, erzählt von einem Brandenburger Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in dem Kinder zu Gehorsam und protestantischem Rigorismus erzogen werden. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa sprach der 67-jährige österreichische Regisseur («Caché», «Funny Games») über seine Chancen auf den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Beitrag, die heutige Gültigkeit der Film-Geschichte und Regiekollegen, die auf der Leinwand Antworten geben.

«Das weiße Band» zeigt junge Menschen, die zu bedingungslosem Gehorsam geprügelt werden. Kann man das Werk als Film über die Vorläufer des Nationalsozialismus verstehen?

Haneke: «Nicht so direkt. Natürlich, dadurch dass der Film 1913/14 spielt, kann man sich vorstellen, welche Generation da gezeigt wird: Die da so zwischen acht und 14 sind, die sind dann von 1933 bis 45 im entscheidenden Alter. Aber ich habe das absichtlich offen gelassen, weil es nicht in erster Linie darum geht. Ich habe nichts dagegen, wenn man in Deutschland den Film auch als Film über die Wurzeln des Faschismus sieht, aber es ist kein politischer Film in dem Sinn. Das ist nicht leistbar, einen Film über die Wurzeln des Faschismus zu machen.»

Was haben Filmthemen wie Obrigkeitsdenken und protestantische Prüderie mit unserer heutigen, liberalen Gesellschaft zu tun?

Haneke: «Ich wollte einen Film machen, der nicht nur die Zeit 1913/14 meint, sondern auch heute meint. Es geht letztlich um die Präparierung von Menschen für Ideologien - welcher Art auch immer. Überall dort wo Menschen in einer Situation leben, die demütigend, traurig, hoffnungslos ist, werden sie anfällig für jede Art von rettendem Strohhalm. Darum geht es letztlich in dem Film - am Beispiel Deutschland, aber ich hoffe schon, dass der Film so verstanden wird, dass es sich nicht im deutschen Umfeld erschöpft. Sie können theoretisch einen Film in einem muslimischen Land machen, der natürlich sehr anders wäre, aber in etwa das gleiche Thema hätte. Für mich war das Beispiel Deutschland und die Ideologie natürlich das prominenteste.»

Die Religion wird in dem Film extrem kritisch dargestellt. Warum?

Haneke: «Es wäre falsch, den Film als antireligiösen Film zu verstehen, als einen Film, der den Protestantismus anprangern will. Ich bin selbst evangelisch aufgewachsen, ich war ein sehr gläubiges Kind. Es war mir nicht ganz fremd. Dieser Elitismus, der dem Protestantismus innewohnt, hat mir auch gefallen als Kind. Inzwischen bin ich längst aus der Kirche ausgetreten. Der Kathole hat den Priester, dem beichtet er, und dann ist die Sache erledigt. Das ist beim Protestanten nicht der Fall. Wir sind selbst für unsere Taten verantwortlich.»

Warum ist der Film in Schwarz-Weiß?

Haneke: «Die Bilder der damaligen Zeit sind in Schwarz-Weiß, die damalige Zeit ist also mit Schwarz-Weiß konnotiert. Das gibt dem Zuschauer leichter die Möglichkeit, in diese Atmosphäre einzutauchen. Auf der anderen Seite ist Schwarz-Weiß immer eine Abstraktion: Sie gibt nicht vor, die Wirklichkeit zu sein. Ich habe immer große Probleme mit historischen Filmen, die so tun als ob. Das Schwarz-Weiß ist da ein Mittel, sich dieser Problematik ein bisschen zu entledigen, weil das von vornherein das Gezeigte als Artefakt erklärt. Es ist nicht Realität, es ist eine künstliche Wiedergabe. Ich glaube es ist die einzig legitime Form, sich einer historischen Situation zu nähern.»

Sie erzählen häufig mysteriöse Geschichten, die sie nicht auflösen. Warum sind Fragen auf der Leinwand interessanter als Antworten?

Haneke: «Weil Antworten immer Lügen sind. Wenn man wüsste, wie grundsätzliche Probleme zu lösen sind, dann würde die Welt heute anders ausschauen. Antworten haben immer nur Politiker. Die wollen wiedergewählt werden, also erzählen sie den Leuten etwas, um deren Ängste zu beruhigen. In jeder Art von Kunstform kann man nur die Fragen so dringend und präzise wie möglich stellen, und dann ist es am Leser oder Zuschauer, in seinem eigenen Leben herumzuschauen, wo Antworten zu finden wären. Aber als Künstler eine Antwort geben, das kann man nur aus Zynismus oder aus Dummheit.»

Ein Arzt, ein Pfarrer und ein Lehrer spielen die Hauptrollen in «Das weiße Band». Wie in anderen Filme von Ihnen haben also Vertreter des Bürgertums die Hauptrollen. Warum das Interesse für dieses Milieu?

Haneke: «Erstmal weil der überwiegende Teil des Publikums aus dem Bürgertum kommt, dadurch ist die Identifikationsmöglichkeit größer. Zweitens weil es das Milieu ist, das ich am besten kenne, weil ich auch daraus komme. Ich würde nie einen Film machen, der in einem proletarischen Milieu spielt, weil ich es nicht kenne. Man kann meiner Meinung nach ein Milieu nicht beschreiben, das man nicht kennt.»

Sie haben schon unzählige Filmpreise gewonnen. Was bedeuten Ihnen die Auszeichnungen?

Haneke: «Jeder Preis ist gut fürs Renommee, Renommee gut für die Bedingungen der nächsten Produktion, man ist ja immer nur soviel wert wie der Erfolg der letzten Arbeit. Deshalb ist es immer sehr angenehm, wenn man Preise kriegt. Das Echo ist größer, die Aufmerksamkeit ist größer, je wichtiger der Preis, umso besser sind die Produktionsbedingungen für das nächste Projekt.»

Ein Schwarz-Weiß-Film von zweieinhalb Stunden Länge - wie groß ist Ihre Sorge, dass solch ein ungewohntes Format Zuschauer abschreckt?

Haneke: «Ich habe mir abgewöhnt, mir über den Erfolg von Filmen Gedanken zu machen. Ich habe mich so oft geirrt. Bei Caché hätte ich nie gedacht, dass der Film auch an der Kasse ein sensationeller Erfolg in angelsächsischen Ländern war. Ich dachte, das ist ein Film für Intellektuelle, den werden sich ein paar Leute in den Kunstkinos anschauen, und das ist es. Und bei Funny Games U.S. habe ich genau das umgekehrte gedacht: Das ist der große Kassenknüller! Aber es war genau das Gegenteil.»

Wie wichtig sind Ihnen denn Zuschauerzahlen?

Haneke: «Ich habe nie einen Film gemacht mit dem Ziel, ein besonders großes Publikum zu finden. Jeder Filmemacher will natürlich soviele Zuschauer wie möglich. Es ist die Frage, was man bereit ist, dafür zu opfern, an den eigenen Idealen und eigenen Ansprüchen. Das musste ich nie, ich habe immer das machen dürfen, was ich machen wollte, und solange ich das weitermachen kann, ist mir das recht.»

Der Film geht für Deutschland ins Rennen um den Auslands-Oscar, weil das Geld zu 50 Prozent aus Deutschland und je 25 Prozent aus Frankreich und Österreich kam. Österreichische Filmförderer zeigten sich enttäuscht - hätte Deutschland verzichtet, wäre der Beitrag wohl für Österreich ins Rennen gegangen. Wie stehen Sie dazu?

Haneke: «Mir ist das völlig wurscht. Es geht als mein Film dorthin, ob ich nun für Deutschland reite oder Österreich, das ist mir ziemlich egal.»

Wie schätzen Sie Ihre Oscar-Chancen ein?

Haneke: «Das fragt mich fast jeder, aber das völlig verfrüht. Wir sind ja noch nicht mal nominiert. Wir sind von den Deutschen dafür vorgeschlagen, ich weiß nicht wie viele Länder auch vorschlagen. Lassen wir uns überraschen, im Januar werden wir mehr wissen. Ich mache mir darüber keine Gedanken. Wenn es passiert, ist gut, wenn es nicht passiert, ist auch gut.»

Interview: Wolf von Dewitz, dpa