Merseburger Orgeltage Merseburger Orgeltage: Alter Wein in neuen Schläuchen
MERSEBURG/MZ/AHI. - Und dennoch wurde dieses "Wir sterben" am Montag bei den Merseburger Orgeltage aufgeführt - als Beitrag zu einem Programm, das Festival-Leiter Michael Schönheit dem "Universum Bach" gewidmet hat.
Dass in diesem Kosmos noch viel zu entdecken ist, steht außer Frage. Ob Helga Thoenes Neudeutung des Finalsatzes aus der Violinpartita Nr. 2 in a-Moll allerdings zu den Missing Links zählt, wird die Zukunft zeigen müssen. Denn auch wenn sich das renommierte Hilliard Ensemble mit wechselnden Partnern seit Jahren in den Dienst des Werkes stellt - die Behauptung, dass der Köthener Hofkapellmeister hier ein verschlüsseltes Requiem für seine 1720 gestorbene Frau Maria Barbara hinterlassen habe, lässt sich aus der Verschraubung der Chiaconne mit vierstimmigen Chorälen nicht zwingend herleiten. Der wichtigste Einwand gegen die Methode, die einzelne Vokalpassagen auf den Instrumentalpart setzt, lässt sich aus dem Berufsethos des Meisters herleiten: Nie hätte er geistliche Texte verstümmelt, um daraus ein musikalisches Rätsel zu formulieren.
Dass er freilich immer wieder alten Wein in neue Schläuche goss, dass er melodische Erfindungen zitierte und variierte, ist eine Binsenweisheit. Nur eben nicht nach dem Sampling-Prinzip, das man nach der getrennten Präsentation von Partita und Chorälen in Merseburg erleben durfte. Da war man eigentlich schon voll des musikalischen Glücks - dank der empathischen und virtuosen Leistung der Geigerin Muriel Cantoreggi, die ihr großes Werk mit unermüdlicher Intensität bewältigt hatte. Und auch dank des Solisten-Quartetts Claudia Reinhard (Sopran), David James (Counter), Steve Harrold (Tenor) und Gordon Jones (Bariton), die über einer matten, mulmigen Tiefe in helle Höhen strebten.
Einen ähnlichen Eindruck hatten die Altmeister des a-cappella-Gesangs bereits im ersten Teil des Abends hinterlassen, in dem sie mit Gastgeber Schönheit als Organisten jene Choräle und Bearbeitungen präsentierten, die Bach zu "Der Clavier-Übung dritter Theil" zusammengefasst hatte. Doch was als Beglaubigung der "Morimur"-Methode gedacht sein mochte, wirkte in der sauberen Trennung von Thema und Variation eher wie ein Widerspruch. Die Parallelführung überschreitet als konzertante Doktorarbeit die Grenzen der Musikwissenschaft und produziert mit mathematischen Argumenten esoterische Inhalte. Aber das passt ja dann wieder zum Universum Bach, in dem sich messbare Größen zu etwas Unfassbarem fügen.