Menschen bei Maischberger zur Flüchtlingskrise Menschen bei Maischberger zur Flüchtlingskrise: "Habt Ihr Deutschen Euch das gut überlegt?"

Nationale Egotrips statt Flüchtlingshilfe: Zerbricht die EU? Das wollte Sandra Maischberger am späten Dienstagabend in ihrer ARD-Talkshow mit ihren Gästen erörtern.
Und wenn diese Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/die Grüne), Bundestagsabgeordneter Wolfgang Bosbach (CDU) oder Michel Friedman heißen, dann erwartet der Zuschauer eine lebhafte Diskussion. An zwei, drei Stellen geriet das Gerede und Argumentieren dann in der Tat durcheinander. Ansonsten verlief die Diskussion geordnet.
Merkel schafft falsche Anreize
Sandra Maischberger wollte vom Schweizer Journalisten und Herausgeber der "Weltwoche" Roger Köppel wissen, warum er Bundeskanzlerin Angela Merkel als die Schlepper-Königin bezeichnet habe.
Köppel hielt zunächst fest, dass es unbestritten sei, dass Verfolgten Asyl gewährt werden muss und dass Kriegsflüchtlinge Schutz brauchen. „Aber die Menschen, die bereits in EU leben, die machen sich Sorgen und fragen sich: ,Können wir das verkraften, eine Millionen Menschen aufzunehmen?‘“ Erst auf mehrfachen Nachhaken beantwortete Köppel die Ausgangsfrage zu Merkel. Er findet, die Bundeskanzlerin schafft mit ihrem Handeln und Aussagen falsche Anreize für Flüchtlinge. „Es ist fragwürdig zu sagen, sie können alle nach Deutschland kommen und dann werden sie innerhalb der EU verteilt. Das führt zu einer Überforderung“, so Köppel.
Bosbach verteidigt Bundeskanzlerin
Hier die guten Deutschen, da die bösen Ungarn? Die Moderatorin stellte die Frage nach dem Zustand der EU.
Wolfgang Bosbach freute sich erst einmal über Begeisterung der deutschen Bürger beim Empfang der Flüchtlinge am vergangenen Wochenende in München. „Wir haben alle noch die Bilder aus Ungarn vor Augen. Kompliment an München, es geht auch anders“ sagte er. Bosbach hält die Entscheidung der Bundesregierung für richtig, die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, „weil es eine Notsituation, ein Einzelfall ist.“
Als problematisch ordnete er die vermeintliche Signalwirkung für weitere Flüchtlinge an, betonte aber: „Das Dublin-Abkommen ist nicht ausgesetzt, es handelt sich derzeit nur um einen erleichterten Zugang.“
Er wies auf die schwierigen Verhältnisse für Flüchtlinge in die ersten Aufnahmeländer hin. „Wir überstellen nicht mehr nach Griechenland und verstärkt auch nicht mehr nach Ungarn, weil dort die Mindeststandards nicht eingehalten werden.“ Gleichzeitig mahnte er aber vor einer Vorverurteilung. „Ungarn stand mit der Situation am Budapester Bahnhof vor einem Dilemma und vor der Frage, wie man die Ersterfassung machen soll? Etwa die Menschen mit Gewalt dazu zwingen?
Die Verlegung von Stacheldraht an der Grenze werde die Flüchtlinge jedoch nicht aufhalten, ist er überzeugt. „Sie werden sich den Weg suchen und nicht nach so einer langen Flucht dort stoppen. Sie werden weiter wandern.“ Stattdessen fordert Bosbach eine bessere Verteilung. Allerdings glaubt er nicht, dass Flüchtlinge dort bleiben, wo sie hingesteckt werden. „Sie werden dorthin gehen, wo sie hin wollen.“
„Hier hätte längst der Tierschutzverein eingegriffen“
Michael Friedmann ging zunächst mit dem Verhalten Ungarns mit den Flüchtlingen hart ins Gericht. „Ungarn ist kein sicherer Aufnahmestaat in Europa.“ Die Zustände, unter denen die Flüchtlinge dort leben müssten, „da hätte in Deutschland längst der Tierschutzverein eingegriffen.“ Auch in Griechenland gebe es keine ausreichende Versorgung. „Essen und Hygiene sind hier nicht vorhanden.“ Von daher sei es richtig von Merkel, die spät begriffen habe, dass zur Idee Europas die Menschenrechte und Solidarität gehört.
Die ungarische Regierung kritisierte er: „Viktor Orban ist ein rassistischer Rechtspopulist. Er betreibt religiöse Selektion. Er will die Todesstrafe wieder einführen, schränkt das Presserecht ein. Das alles entspricht nicht unserem demokratischen Verständnis.“ Er warnt vor dem Aufwind rechter Parteien. „Den gibt es in den vergangenen zehn Jahren in Frankreich und auch in Skandinavien. Aber die Medizin kann nicht sein, dass die Regierungsparteien denen hinterherlaufen.“
Auf die Frage, ob die jetzt für die Flüchtlingswelle von der Bundesregierung bereitgestellten sechs Milliarden Euro besser angelegt seien, als das Hilfsgeld für Griechenland, antwortete Friedmann mit einer Gegenfrage: „Warum gab es noch keine drei Krisengipfel?“
Lesen Sie im nächsten Abschnitt, wie die EU auf die deutsche Entscheidung zur Flüchtlingsaufnahme reagiert.
„Habt ihr euch das gut überlegt?“
Rolf-Dieter Krause schildete, dass man in Brüssel über den guten Willen Deutschlands gestaunt habe, aber das auch die Frage aufkam: „Habt ihr euch das gut überlegt?“ Das Eigentliche komme ja jetzt. „Schaffen wir die Integrationsleistung“, stellte er zur Debatte. Denn: „Das kam alles ein bisschen plötzlich“, meinte er und verglich die jetzige Situation und die Reaktion der deutschen Regierung mit der Energiewende nach Fukushima.
Krause kann die Sorge nachvollziehen, dass nun weitere Flüchtlinge nachkommen. „Natürlich sind Flüchtlinge gut vernetzt“, sagte er und: „Viele machen ein Fragezeichen wenn sie hören: Wir können das alles schaffen. Diese Besorgnis vor dem Fremden müssen wir ernst nehmen. Das sind berechtigte Ängste, wenn wir diese ausblenden, dann gibt es Probleme, das ist gefährlich.“
An die Politik appellierte Krause deshalb, nicht die Ängste und Vorurteile zu bestärken. Für bedenklich hält er, jemand gleich in eine rechte Ecke zu stellen, wenn man Grenzen sichern will. „Es wird illegal immigriert. Da ist man nicht rechts, wenn man das besorgt feststellt. 90 Prozent, die über die Zäune steigen, haben keine Asylgründe, aber trotzdem gute Gründe. Letztlich werden alle trotzdem kommen.“
Krause findet, den Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in der EU nicht nur nach Größe und Wirtschaftskraft eines Landes zu bestimmten, sondern auch danach zu schauen, wie ein Land schon mit Flüchtlinge belasten, sei ein guter Versuch. Letztlich forderte er, die Fluchtgründe bekämpfen. „Die Handelspolitik ist falsch. Entwicklungsländern wird keine Wirtschaftschancen gelassen.“
Dublin-System hat ausgedient
Claudia Roth sieht im Dublin-System angesichts der vielen Menschen, die ihre Heimat verlassen, keine Funktion mehr. „Deutsche Menschen haben gezeigt, was es heißen kann, willkommen zu heißen.“ Aber: „Es fehlt ein solidarisches, faires europäisches System. Jetzt erleben wir den Egoismus der einzelnen Staaten.“
Auch sie findet: „Was Orban betreibt, ist rassistischer Wahlkampf gegen noch schlimmerer Partei.“ Es gebe keinen Grund, die Flüchtlinge so zu behandeln. Und wenn sich alles auf die Außengrenze verlagert, sei das nicht gut.“
Roth vermisst allerdings die Strukturen bei den jetzigen Regierungsbeschlüssen. Und sie fordert: „Was wir brauchen sind legale Fluchtwege. Es geht auch darum, Schlepper zu stoppen. Das geht nicht mit Kriegsschiffen. Das geht nur mit humanitären Visa.“
Sozialistische Abschottung
Der aus Prag zugeschaltete Politik-Wissenschaftler Dr. Peter Robejsek ordnete das populistische Vorgehen der Regierungen in Osteuropa ein. „Die Generation der Wähler sind Menschen, die fast nie Fernurlaub gemacht haben, allenfalls in Bulgarien waren. Sie waren sozialistisch abgeschottet. Da kann man ihnen nicht vorwerfen, dass sie Probleme mit Fremden haben.“
Die Politiker versuchten den Vorstellungen ihrer Bevölkerung gerecht werden. Was gesagt werde, stelle die Stimmung dar. Wenn man von scharfen Tönen redet, müsse man auch umgekehrt sehen, dass es auch scharfe Töne aus dem Westen gibt. Da heißt es dann: „Wenn ihr nicht aufnehmt, dann werden Mittel gestrichen.
Man müsse antizipieren. „In Ungarn gibt es eine rechtsextremistische Partei, die in Startlöchern steht. Es ist nicht auszuschließen, dass ähnliche Gruppierungen aufkommen. Und das würde Spaltpilz bedeuten. Das sollten wir nicht riskieren.“


