Meister im Schatten Meister im Schatten: Stiftung Bauhaus Dessau ehrt Carl Fieger als eigenständigen Vertreter der Moderne

Dessau-Rosslau - Geschichtsträchtig ist die Ausstellung auf jeden Fall, die Mittwochabend am Bauhaus in Dessau eröffnet wurde. Sie ist nämlich die letzte im historischen Ambiente. Wenn Ende Oktober der Letzte das Licht ausknipst im zweiten Stock des gläsernen Werkstattflügels, rücken die Bauleute ein und demontieren alles, was über die Jahre an Museumstechnik hineingekommen ist. Künftig wird der Neubau die kulturelle Mittlerrolle übernehmen.
Zufall oder nicht, blickt man zugleich auch zurück auf die erste Ausstellung, die nach dem Krieg dem Bauhaus gewidmet war, wenn auch noch nicht im damals schwer entstellten Gebäude. Von Mai bis Juni 1961 war im Georgium das Werk des „Vorkämpfers der neuen Baukunst“ Carl Fieger zu sehen. Das Wort „Bauhaus“ wurde peinlichst vermieden; in der damals aufgeheizten anti-„formalistischen“ Stimmung war das nicht opportun.
An der DDR-Bauakademie
Fieger selbst war im Schlepptau von Richard Paulick an die Bauakademie der DDR in Berlin gekommen, die in den 1950er Jahren allen Bauhaus-Ideen abschwor und dem sozialistischen Nationalstil klassizistische Form zu verleihen versuchte. Im Nachkriegs-Dessau half Fieger beim Wiederaufbau; er entwarf einen Erweiterungsbau für das Rathaus, lange bevor das nach der Wende zum Thema wurde.
Im Grunde wusste dennoch jeder, was heute kein Allgemeingut mehr ist: Fieger gehörte zu den Begründern der Bauhaus-Architektur. Kunde vom Dessauer Ereignis drang 1961 zu Hans Maria Wingler an seinem Bauhaus-Archiv (damals in Darmstadt).
Er brachte das Kunststück fertig, die Ausstellung aus dem Georgium genau zwei Monate vor dem Mauerbau in den Westen zu holen, wo sie noch an weiteren Stätten tourte. Solche zeitgeschichtlichen Kuriosa sind in der Ausstellung zu entdecken, genauso wie Fieger selbst, dessen Name in Dessau allenfalls noch mit seinem eigenen Wohnhaus und dem Kornhaus-Restaurant an der Elbe verknüpft ist, beides gepflegte Baudenkmale und in ursprünglicher Form genutzt.
Die Stiftung Bauhaus ist in der glücklichen Lage, archivalisch aus dem Vollen zu schöpfen. Fieger starb 1960 im Alter von 67 Jahren und seine Frau lebte bis zu ihrem Tod 1987 mit allen von ihm entworfenen Möbeln. Den Nachlass vermachte sie dem Bauhaus. Und vor zwei Jahren fanden Familienangehörige in Halle einen Koffer, in dem Fieger zahlreiche Fotos, Briefe und Dokumente aufbewahrt hatte; auch dieses Material ist jetzt am Bauhaus.
In der Dessauer Schau tritt Fieger aus dem Schatten von Gropius, ebenso wie dem Bauhaus als Institution. Er gehörte zu Gropius’ privatem Architekturbüro und war auch am Bauhaus als Lehrer tätig. Aber die Fülle, Bandbreite und Originalität seiner im eigenen Büro entstandenen Arbeiten war auch Gropius selbst sehr genau bewusst, der sie mit Verweis auf den Urheber in den Bauhaus-Heften publizierte. Es fällt etwa das „Doppelhaus für Ärzte“ von 1924 auf, an kühler Eleganz den Meisterhäusern ebenbürtig, denen der Entwurf aber um zwei Jahre voraus geht.
Weichheit seiner Interieurs
Nicht nur findet man bei Fieger originelle Spielarten der Moderne, sondern auch einen deutlich persönlichen Zug, den schon ein Rezensent der Darmstädter Ausstellung erkannte: „Fieger tendierte zu einer organischeren Eigenart.“ Er behauptete gar, „die für einen Architekten malerische Weichheit seiner Interieurs zeigen die Schmiegsamkeit seines eigenen Wesens“.
Die Eigenart seiner Interieurs ist an den Tischen, Stühlen und Betten zu sehen, die seine Witwe bis zu ihrem Tod nutzte; und welchen Gebrauch Gropius aus Fiegers „Schmiegsamkeit“ zog, ist an den faszinierenden Vorentwürfen zum Dessauer Bauhausgebäude zu studieren: Bekanntlich konnte Gropius nicht zeichnen und war auf seine Mitarbeiter angewiesen, die seine Vorstellungen in Form brachten.
Es ist unvermeidlich, dass man in der Ausstellung mit vielen Arbeiten auf Papier konfrontiert ist - darunter auch die spektakuläre Nacht-Studie eines Reklamebüros von 1930 für eine Leuchtschrift am Kornhaus. Neben den Möbeln lockern Modelle die dämmerige Atmosphäre auf. Das experimentelle Rundhaus von 1933, zum Beispiel, das zudem in Gestalt einer Hüpfburg zum modernistischen Gaudi der Kinder vors Preller-Haus gestellt wird, und drinnen gibt’s einen interaktiven elektronischen Baukasten.
Sie werden auf ihre Art zu schätzen wissen, was der Bauhäusler Paul Lindner Jahrzehnte später von Fieger zu erzählen wusste: „Er war von einer unerhörten Gewandtheit und einer nie gesehenen Geschicklichkeit in der architektonischen Darstellung. Wir Anfänger bewunderten ihn, wenn er Kohleperspektiven mit beiden Händen gleichzeitig hervorzauberte, die ihm keiner nachmachen konnte.“
Bauhaus Dessau, bis 31. Oktober, tägl. 10-17 Uhr. Begleitbuch 35 Euro
(mz)

