MDR-Sinfonieorchester MDR-Sinfonieorchester: Winterreise nach Kaliningrad

HALLE/KALININGRAD/MZ. - In den Beziehungen der Menschen in der Kaliningrader und der mitteldeutschen Region hingegen findet nach Einschätzung des Hörfunkdirektors eine deutliche Erwärmung statt - zumindest um die einwöchige "Kulturbrücke Kaliningrad" herum, die der MDR ins ehemals deutsche Königsberg schlägt.
Noch bis Sonntag will der MDR mit etwa 30 Beiträgen in Funk und Fernsehen beweisen, dass Kaliningrad mehr bedeutet als Kant und Klopse. Mit einem großen Auftritt wird die "Programmanstrengung" im Internet flankiert. Journalisten berichten über die deutsche Vergangenheit und die russische Gegenwart in der Exklave zwischen Polen und Litauen, sollen als Sprachrohre zwischen den Menschen in Mitteldeutschland und Kaliningrad fungieren. So reiste die Kaliningrader Reporterin Svetlana Kolbaneva, begleitet von Kollegen des deutschen Senders, nach Leipzig, Erfurt, Halle und Zeitz.
Ein halbes Jahr haben die russischen Behörden und der Sender an der Kulturbrücke gebaut. Auf dem Weg von der Idee zur Realisierung sei viel geschehen, erinnert Möller. Die offiziellen Stellen reagierten "erst skeptisch, dann freundlich, schließlich fanden sie es gut". Plötzlich sei auch der Kaliningrader Kulturminister aufgetaucht. So avanciert das Projekt nicht zuletzt zum bilaterialen Politikergipfel: Der russische Botschafter in Deutschland, der deutsche Generalkonsul in Kaliningrad und Vertreter der Landes- und Regionalregierungen werden sich treffen, wenn der Programmschwerpunkt mit einem Gastspiel des MDR-Sinfonieorchesters am Sonnabend im wiederaufgebauten Dom endet.
Ein "Geschenk an die Kaliningrader" solle das Konzert sein, vor allem an diejenigen, die sich für den Wiederaufbau des Doms engagiert haben, informierte der Sender. Das Kulturradio des MDR überträgt live. Im Fernsehen wird der erste Konzertteil am Sonntagabend gezeigt, der zweite Teil läuft am 28. Februar auf Arte. Als Live-Stream können beide Sendungen im Internet verfolgt werden.
Der Königsberger Dom ist ein besonderer Ort mit hohem Identifikationswert - auch für Deutsche. Hier krönte sich Friedrich I. 1701 zum ersten Preußenkönig, 1944 brannte der Bau mit dem fast kompletten Altstadtkern bis auf ein paar Stümpfe nieder. Heute steht das Wahrzeichen der Stadt als Symbol für das neue Kaliningrad. Nachdem sich Dombaumeister Igor Odinzow mit 100 Rubel ans Werk gemacht hatte, brachten 2005 die Feierlichkeiten zum 750. Stadtjubiläum den entscheidenden Schub an öffentlicher Wahrnehmung und finanzieller Unterstützung.
Ab jetzt flossen deutsche und russische Spendengelder, Wladimir Putin finanzierte die Orgel. Sie ist mit fast 9 000 Pfeifen in 90 Registern die größte Orgel im Ostseeraum und Russland. Gebaut wurde sie von Deutschen, in der Werkstatt der Potsdamer Firma Schuke. Und nun gastiert hier der MDR-Klangkörper als erstes internationales Orchester. Gemeinsam mit dem Kaliningrader Domorganisten Artjom Chatschaturow führen die Leipziger Musiker unter Leitung ihres Chefdirigenten Jun Märkl Werke von Bach und Saint-Saëns auf, darunter dessen berühmte Orgelsinfonie und Leopold Stokowskis Orchesteradaption von Johann Sebastian Bachs berühmter Toccata und Fuge in d-Moll.
Indes: "Der Krieg", spricht Johann Michael Möller in Kaliningrad, "ist hier noch ganz nah". Angesichts der längst nicht verheilten Wunden beeindrucke ihn umso mehr, wie souverän junge Russen mit der Geschichte ihrer Stadt umgingen, wie neugierig sie seien. Und dass viele Menschen wieder "Keenichsberg" sagten. Mit insgesamt 200 Mitarbeitern sei der MDR vor Ort, nicht ganz einfach unter den geltenden Sicherheitsvorschriften. Es hat, sagt Möller, "etwas von einem Wanderzirkus".
Was bleibt? Im besten Fall mehr als ein "Winterabenteuer" für die deutschen Gäste und ein besonderes Ereignis für die Kaliningrader, auf deren Wunsch die Terminierung des Projektes zurückgeht. Das kollektive Besinnen auf die Wurzeln der Stadt, das Erinnern von Zeitzeugen historischer Ereignisse, das Geschichtenerzählen aus dem sich erneuernden Kaliningrad: Das ist die Chance, ein Brückenschlag über Krieg und Zerstörung, Isolation und Mangelwirtschaft hinweg, wie ihn nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk leisten kann. Und muss.